1. Rede von Alexis Tsipras vor dem Europäischen Parlament am 08.07.2015

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Ben Nevis

1. Rede von Alexis Tsipras vor dem Europäischen Parlament am 08.07.2015

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1. Rede von Alexis Tsipras vor dem Europäischen Parlament am 08.07.2015 (Deutsche Übersetzung)
Originalrede (en) auf primeminister.gov.gr
Vielen Dank Herr Präsident,

Verehrte Abgeordnete des Parlament, es ist eine Ehre für mich hier im wahren Tempel der europäischen Demokratie zu sprechen. Vielen Dank für die Einladung. Ich fühle mich geehrt zu den gewählten Vertretern der Menschen von Europa in dieser kritischen Zeit für mein Land und für die Eurozone und die Europäische Union sprechen zu können.

Ich befinde mich nun unter ihnen nur ein paar Tage nach dem kräftigen Urteil der griechischen Menschen, dass auf unsere Entscheidung folgte diesen die Möglichkeit zum Ausdruck ihres Willen zu geben, sie direkt entscheiden zu lassen über die Haltung die wir annehmen und um einen aktive Rolle in den Verhandlungen im Hinblick auf die Zukunft einzunehmen. Nur ein paar tage nach dem kräftigen Urteil, dass uns anweist unsere Anstrengungen weiter zu verstärken um eine sozial gerechte und finanziell tragfähige Lösung für das griechische Problem zu finden – ohne die Fehler der Vergangenheit, welche die griechische Wirtschaft verdammten und ohne die fortwährende und hoffnungslose Austeritätspolitik, die unser Land in einem rezessiven Teufelskreis gefangen hält, und unsere Gesellschaft in einer langanhaltenden und tiefen Depression. Die griechischen Menschen haben eine mutige Entscheidungen getroffen, unter beispiellosen Druck, mit geschlossenen Banken, mit einer Mehrheit der Medien, die versucht die Menschen damit terrorisieren, dass eine NEIN-Wahl ein Bruch mit Europa wäre.

Es ist mir eine Freude hier in diesem Tempel der Demokratie zu sein, weil ich glaube dass wir hier sind um zuerst den Argumenten zu zuhören und dann über diese Argumente zu richten.

„Quält mich, aber zuerst hört mir zu.“

Die mutige Entscheidung der griechischen Menschen steht nicht für einen Bruch mit Europa, sondern für eine Rückkehr zu den Grundprinzipien der europäischen Integration, die Prinzipien von Demokratie, Solidarität, gegenseitigem Respekt und Gleichheit.

Es ist eine klare Botschaft, dass Europa – unser gemeinsames europäisches Projekt – die EU entweder demokratisch sein wird oder enorme Schwierigkeiten haben wird zu überleben angesichts der schwierigen Bedingungen, die wir zurzeit haben.

Die Verhandlungen zwischen er griechischen Regierung und seinen Partnern, welche bald abgeschlossen sein werden, versuchen Europas Achtung vor allgemeinen Verhaltensvorschriften , sowie dem absoluten Respekt vor der demokratischen Wahl eines Volkes zu bestätigen.

Meine Regierung und ich, persönlich, sind vor fünf Monaten an die Macht gekommen. Aber die Rettungsprogramme sind seit fünf Jahren am laufen. Ich trage die volle Verantwortung für das, was in diesen fünf Monaten passiert ist. Aber wir müssen alle anerkennen, dass die Hauptverantwortung für die Schwierigkeiten, die Europa heute erlebt, nicht das Ergebnis der Entscheidungen ist, die wir in den letzten fünf Monaten getroffen haben, sondern in den fünf Jahren, in denen Programme durchgeführt wurden sind, die die Krise nicht beendet haben. Ich möchte ihnen versichern, dass unabhängig von der eigenen Meinung, ob die Reformanstrengungen richtig oder falsch waren, die Tatsache bleibt, dass Griechenland, und das griechische Volk, einen beispiellosen Aufwand in den letzten fünf Jahren betrieben haben um sich anzupassen. Extrem schwierigen und harten Aufwand. Diese Bemühungen haben die Kraft des griechischen Volk erschöpft.

Natürlich fanden solche Anstrengungen nicht nur in Griechenland statt. Sie fanden auch anderswo statt, nämlich – und ich respektiere die Bemühungen dieser Länder und Regierungen, die komplizierte Maßnahmen bewältigen und über sie entscheiden mussten, uneingeschränkt – in den vielen europäischen Ländern, in denen Austeritätsprogramme durchgeführt wurden. Doch nirgendwo waren diese so schwer und so langanhaltend wie in Griechenland. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass mein Land in den letzten fünf Jahren in ein Versuchslabor für Austeritätspolitik verwandelt wurde. Aber wir müssen uns alle eingestehen, dass dieses Experiment nicht erfolgreich war.

In den letzten fünf Jahren ist die Arbeitslosigkeit in den Himmel geschossen, die Armut ist in den Himmel geschossen, soziale Ausgrenzung wuchs enorm an, genauso wie die öffentliche Verschuldung, die vor dem Start er Programme 120% des BIP betrug und zur Zeit 180% des BIP. Heute fühlt die Mehrheit der Griechen, unabhängig von unseren Evaluationen – dies ist die Realität und die müssen wir akzeptieren –, dass sie keine Wahl haben als den Kampf um diesem hoffnungslosen Kurs zu entkommen. Und es ist dieser Wunsch, ausgedrückt in der direktesten und demokratischsten Art und Weise, zu dem wir, als Regierung, aufgerufen Abhilfe zu schaffen.

Wir streben eine Vereinbarung mit unseren Partnern an. Jedoch eine Vereinbarung, die zu einem definitiven Ende der Krise führt. Die uns Hoffnung gibt, dass am Ende des Tunnels ein Licht ist. Eine Vereinbarung, die für zuverlässige und notwendige Reformen steht – niemand stellt sich dem in den Weg -, aber die die Last denen schultert, die sie fähig sind sie tragen zu können – und denen, die während der letzten fünf Jahren von den früheren Regierungen geschützt wurden und die Last nie tragen mussten – die Last war komplett auf den Schultern der Arbeiter, der Rentner, denen, die sie nicht länger tragen können. Und einer Vereinbarung die, natürlich, mit einer Umverteilungspolitik verbunden ist, die den unteren und mittleren Klassen zu guten kommt, so dass wir eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung erreichen können.

Der Vorschlag, den wir unseren Partnern unterbreiten werden beinhaltet:

* glaubwürdige Reformen, basierend auf – wie ich vorhin sagte – gerechte Verteilungen von Lasten und mit dem geringstmöglichstem rezessiven Effekt;
* einem Antrag auf eine angemessene Absicherung des mittelfristigen Finanzierungsbedarf des Landes, mit einem starken, sowie vorverteilten Wachstumsprogramm; wenn wir uns nicht auf eine Wachstumsagenda konzentrieren, dann werden niemals eine Ende der Krise sehen. Unser erstes Ziel muss die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Ermutigung des Unternehmergeistes sein;
* und natürlich die Anfrage für einen sofortigen Einsatz zum Beginn eines aufrichtigen Dialogs, einer sinnvollen Diskussion um das Problem der Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung angehen zu können.

Es darf keine Tabuthemen zwischen uns geben. Wir müssen uns der Realität stellen und für Lösungen dieser Realität suchen, unabhängig davon, wie schwierig diese Lösungen sein werden.

Unser Vorschlag wurde gestern bei der Eurogruppe eingereicht um es während des Gipfels gestern überprüfen zu können. Heute senden wir eine Anfrage an den ESM. Wir haben uns verpflichtet in den nächsten Tagen alle Einzelheiten bezüglich unseres Vorschlags vorzulegen und ich hoffe, dass uns gelingen wird die Anforderungen in den nächsten Tagen dieser kritischen Situation für das Wohle Griechenlands, sowie für das Wohl der Eurozone, zu erfüllen. Ich würde sogar sagen prinzipiell sogar nicht nur für das finanzielle Wohl, sondern auch für das geopolitische Wohl Europas.

Ich möchte in diesem Punkt ganz deutlich sein: Der Vorschlag der griechischen Regierung zur Finanzierung ihrer Verpflichtungen und zur Umstrukturierung ihrer Schulden sollen die europäischen Steuerzahler nicht weiter belasten. Das Geld, dass Griechenland gegeben wurde – seien wir ehrlich – erreichte niemals die griechischen Menschen. Es war Geld zu Rettung der griechischen und europäischen Banken – aber niemals ging es an die griechische Menschen.

Darüber hinaus hat Griechenland seit August 2014 keine Auszahlungsraten in Übereinstimmung mit dem bis Ende Juni laufenden Rettungsplan erhalten, eine Menge die sich auf 7,2 Milliarden Euro beläuft. Sie wurden seit August 2014 nicht ausgezahlt und ich möchte betonen, dass unsere Regierung zwischen August 2014 und Januar 2015 nicht an der Macht war. Die Raten wurden nicht ausgezahlt, weil das Programm nicht durchgeführt wurde. Das Programm wurde nicht durchgeführt in dieser Zeit (Aug ’14-Jan ’15) – nicht aufgrund ideologischer Probleme – wie es heute der Fall ist, sondern genau deshalb, weil dem Programm, genau wie jetzt, ein gesellschaftlicher Konsens fehlt. Aus unserer Sicht ist es nicht genug für ein Programm nur richtig zu sein, sondern es ist auch wichtig für die Möglichkeit seiner Durchführung, dass eine gesellschaftlicher Konsens besteht, dass es es umgesetzt werden soll.

Verehrte Abgeordnete des Parlament zur gleichen Zeit als Griechenland um 7,2 Milliarden Euro verhandelte und sie beanspruchte, musste Griechenland Tranchen im Wert von 17,5 Milliarden Euro zurückzahlen – an dieselben Institutionen die um die Auszahlung ersucht wurden. Das Geld wurde von den mageren Finanzen des griechischen Volk bezahlt.

Verehrte Abgeordnete des Parlaments trotz allem, was ich erzählt habe, bin ich nicht einer dieser Politiker, die die „bösen Ausländer“ für die Leiden des eigenen Landes verantwortlich machen. Griechenland steht am Rande des Bankrotts, weil die früheren griechischen Regierungen viele Jahre lang einen klientelistischen Staat aufgebaut haben, der Korruption unterstützte, der die wechselseitige Abhängigkeit von politischer und wirtschaftlicher Eliten tolerierte oder sogar unterstützte, und der Steuerhinterziehung im großen Stil nicht entgegensteuerte. Nach einer Studie der Credit Suisse besitzen 10% der Griechen 56% des nationalen Reichtums. Und diese 10% der Griechen wurden in der Austeritätsperiode nicht angetastet – sie haben nicht beim Schultern der Belastungen mitgeholfen, wie es die anderen 90% getan haben. Die Rettungssprogramme und die Memoranda haben nicht einmal versucht diese große Ungerechtigkeit zu verändern. Stattdessen haben sie diese verschärft. Keine der angeblichen Reformen des Memorandum-Programm verbesserte leider den Steuereinzugsmechanismus, dass trotz des Eifer einiger „Erleuchteten“ zusammenbrach, sowie einiger zu Recht verängstigten Beamten. Keine der angeblichen Reformen hat das notorische Dreieck der Korruption angegangen, welches in unserem Land schon viele Jahre vor der Krise aufgebaut hat zwischen dem politischen Establishment, den Oligarchen und den Banken. Keine Reformen haben den Betrieb und die Effizienz des Staates verbessert, welcher gelernt hat speziellen Interessen eher zu dienen als dem Gemeinwohl. Und leider sind nun Vorschläge um diese Probleme anzugehen im Rampenlicht. Unsere Vorschläge konzentrieren sich auf wirkliche Reformen, welche eine Änderung Griechenlands beabsichtigen. Reformen, die frühere Regierungen, die alte politische Garde, sowie diejenigen, die die Memoranda-Pläne durchführten, niemals in Griechenland durchgesetzt sehen wollten. Das ist die einfache Wahrheit. Der effektive Umgang mit der oligopolistischen Struktur und der Kartell-Praxis der einzelnen Märkte – einschließlich des nicht regulierten und unverantwortlichen TV-Markt -, die Stärkung der Kontrollmechanismen in Bezug auf die öffentlichen Einnahmen und dem Arbeitsmarkt zur Bekämpfung der Steuervermeidung und -hinterziehung, und die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung stellen Reformprioritäten unserer Regierung dar. Und natürlich erwarten wir die Zustimmung unserer Partner zu diesen Prioritäten.

Wir kommen heute mit einem bedeutenden Auftrag des griechischen Volk und mit einem festen Willen nicht mit Europa zu kollidieren, aber mit den Interessengruppen in unserem Land zu kollidieren und mit den bestehenden Grundprinzipien, die Griechenland in die Krise geführt haben und auch die Eurozone mit hinein ziehen.

Verehrte Abgeordnete des Parlaments,

Europa steht an einem kritischen Scheideweg. Was wir als die griechische Krise bezeichnen ist die allgemeine Unfähigkeit der Eurozone eine permanente Lösung zu einer sich selbst erhaltenden Schuldenkrise zu finden. In der Tat ist es ein europäisches Problem und nicht ein exklusives griechisches Problem. Und ein europäisches Problem erfordert eine europäische Lösung.

Europäische Geschichte ist voll von Konflikten, aber am Ende des Tages auch voll von Kompromissen. Aber es ist auch eine Geschichte von Konvergenz und Erweiterung. Eine Geschichte von Einheit und nicht von Spaltung. Deshalb sprechen wir von einem vereinten Europa – erlaubt es nicht, dass wir ein geteiltes Europa werden. Wir sind zurzeit aufgefordert einen tragfähigen und ehrenhaften Kompromiss zu finden um eine historische Zäsur zu verhindern, die die Tradition eines vereinten Europas stürzen würde.

Ich bin zuversichtlich, dass wir alle den Ernst der Lage anerkennen und dass wir entsprechend reagieren werden; wir werden unser historischen Verantwortung gerecht werden.

Dankeschön
Meinen herzlichen Dank an den Übersetzer, der den Zugang für viele erleichtert
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