Anstalt des öffentlichen Rechts
Intendanz
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg
Programmbeschwerde: Verteidigungszone Taiwans - China provoziert mit Kampfjets
Sehr geehrter Herr Knuth,
hiermit erheben wir Programmbeschwerde gegen den Beitrag „Verteidigungszone Taiwans - China provoziert mit Kampfjets“ vom 03.10.2021, wegen Desinformation sowie Verstoßes gegen die Verpflichtung des NDR, die internationale Verständigung zu fördern und für Friedenssicherung einzutreten.
O-Ton Tagesschau.de:
Die Pratas-Inseln – ihr chinesischer Name ist „Dong sha qun dao“ und bedeutet „Östliche Sandinseln“ – liegen im Südchinesischen Meer, südlich des chinesischen Festlands. Taiwan hingegen liegt östlich davon, im Ostchinesischen Meer. Bereits der Tagesschau-Titel „China schickt Kampfjets Richtung Taiwan“ führt in die Irre. Die Pratas-Inseln sind vom chinesischen Festland gut 250 Kilometer entfernt, von Taiwan jedoch 400 Kilometer.„Erneut haben chinesische Kampfjets für Aufregung in Taiwan gesorgt. 39 Maschinen drangen nach taiwanischen Angaben in die Luftverteidigungszone ein … nahe den Pratas-Inseln … teilte das Verteidigungsministerium in Taipeh mit. Es habe sich zumeist um Maschinen vom Typ J-17 und SU-30 gehandelt. Taiwanische Kampfflugzeuge seien in zwei Wellen aufgestiegen, um die chinesischen Flugzeuge zu vertreiben. Zudem seien Flugabwehrsysteme zur Überwachung aktiviert worden, so das Ministerium.“ https://www.tagesschau.de/ausland/asien ... e-101.html
Beijing beansprucht die Inselgruppe für sich, aber Taiwan übt nach wie vor die Kontrolle darüber aus und unterhält eine Marinebasis mit Flugplatz auf dem winzigen, knapp zehn mal zehn Kilometer bedeckenden Atoll; es hat einen Überwasser-Anteil von nur 1,7 Quadratkilometern, der Rest ist Lagune. Von rund 200 taiwanischen Marinesoldaten abgesehen ist das Atoll unbewohnt und für Zivilisten unzugänglich. Einen anderen als rein militärischen „Nutzen“ hat es nicht. Die Unterhaltskosten es Stützpunkts stehen in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zu seinem Gebrauchswert. Der liegt nur im politischen Prestige und in seiner strategisch interessanten Lage.
Bezüglich „Taiwans Luftverteidigungszone“, deren Verletzung im Tagesschau-Text hervorgehoben wird, wird offensichtlich Bezug genommen auf Mitteilungen des Verteidigungsministeriums in Taipeh. Das darin verwendete Kürzel „ADIZ“ steht für den englischen Begriff Air Defense (and) Identification Zone. Nach üblichem Verständnis ist damit ein Luftraum gemeint, in dem sich alle, auch zivile Flugzeuge im Interesse der nationalen Sicherheit des fraglichen Landes orten und identifizieren lassen (sollen), und zwar lange bevor sie in dessen tatsächliches Hoheitsgebiet einfliegen. Eine ADIZ ist also meist wesentlich größer und keineswegs identisch mit dem völkerrechtlich konkret definierten Lufthoheitsraum über einem souveränen Staat.
Das Konzept der ADIZ ist in keinem internationalen Vertrag geregelt und wird von keinem internationalen Gremium verwaltet und angewandt. Eine über das staatliche Hoheitsgebiet hinausreichende ADIZ dient dazu, der fraglichen Regierung mehr Zeit zu geben, auf die Annäherung möglicherweise feindlicher Flugzeuge zu reagieren. Nur einige, bei weitem nicht alle Länder haben einseitig eine ADIZ deklariert und fordern jedes dort einfliegende Flugzeug auf, sich zu identifizieren. Diese Aufforderungen werden häufig und folgenlos ignoriert, weil hinter der unverbindlichen ADIZ kein einklagbares Hoheitsrecht steht. Üblicherweise überlappt eine ADIZ aber auch kein fremdes Hoheitsgebiet.
Die ersten ADIZ wurden von den USA während des Koreakrieges nach imperialistischer Manier deklariert. Auch Taiwans ADIZ ist eine US-Schöpfung aus jener Epoche. Sie ragt weit ins chinesische Festland hinein, ins unbestreitbare Hoheitsgebiet der Volksrepublik China: in die Provinzen Fujian, Zhejiang und Jiangxi sowie in einen Teil des Ostchinesischen Meeres. Auch wenn das Ministerium in Taipeh - mit dem Wissen um US-amerikanische „Unterstützung“ im Hintergrund - seinen ADIZ-Anspruch auf Gebiete der Volksrepublik China ausdehnt, wird dieser völkerrechtlich nicht real. Das Verteidigungsministerium in Taipeh verstieg sich übrigens nicht zu der Behauptung, chinesische Kampfjets hätten den Lufthoheitsraum über Taiwan verletzt oder gar die Insel selbst angegriffen , wie bspw. die Agenturen Reuters und AP, deren Meldungen vor Übernahme angeblich nicht geprüft werden müssen. Diese Agenturen verfälschten militärische Übungsflüge der VR China über das südliche Pratas-Atoll in einen Aggressionsakt auf den östlichen Nachbarn Taiwan. Und die Tagesschau übernahm die Falschmeldung ungeprüft.
Das taiwanische Verteidigungsministerium vermeldete weniger aufgeregt, dass eigene Kampflugzeuge aufgestiegen, Funkwarnungen geschickt und Luftabwehrraketen abschussbereit gemacht worden seien, „um die Aktivitäten zu überwachen“ (engl. Originaltext: „… to monitor the activity”). Dass die chinesischen Jagdbomber zum Abdrehen gezwungen worden seien, wie von der Tagesschau angedeutet, wurde nicht behauptet.
Wir sehen im Weglassen und Verfälschen wichtiger Informationen einen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht und gegen die eigens für den NDR geltenden Angebotsgrundsätze. Zudem trägt die wissentliche Delegitimierung des wichtigsten Handelspartner Deutschlands nicht zu einer entspannten Lage innerhalb der internationalen Beziehungen und zur Friedenssicherung bei. Unter Verletzung seines gesellschaftlichen Auftrags ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer häufiger daran beteiligt, Ressentiments zu schüren und Feindbilder zu schaffen, die nach außen den Frieden gefährden und nach innen eine gesellschaftliche Spaltung forcieren. Dieser Tendenz muss dringend Einhalt geboten werden.
§ 8 Programmgestaltung
(1) Der NDR ist in seinem Programm zur Wahrheit verpflichtet. (…)
(2) Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. (…)
Aus Gründen der Transparenz werden wir diese Beschwerde sowie die Antwort der Programmverantwortlichen auf der Webseite des Vereins https://publikumskonferenz.de veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Maren Müller
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dongsha-Inseln
https://goo.gl/maps/wHhoV4FTpLWNp8VDA
https://bit.ly/3ipQ7e6
https://www.mnd.gov.tw/english/Publish. ... 20&p=79128
https://de.wikipedia.org/wiki/Abkürzungen%2FLuftfahrt
https://de.wikipedia.org/wiki/Luftho
https://en.wikipedia.org/wiki/Air_defen ... ation_zone
https://www.reuters.com/world/asia-paci ... 021-10-01/