Ein abgehörtes, geheimes Gespräch hochrangiger Bundeswehroffiziere schlägt Wellen. Alles ein Versehen?
Das ist wenig wahrscheinlich. Eher ist es so, dass das Geheime nicht geheim bleiben sollte. Es könnte als Alarmsignal gedacht sein. Dafür, dass mit dem Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine Deutschland Gefahr läuft, sich in einen echten, heißen Krieg mit Russland zu manövrieren. Außerdem: Politiker, Militärs und Nachrichtendienste in Deutschland sollten nicht zwangsläufig als homogene Einheit betrachtet werden. Abgesehen davon, dass die Einbeziehung externer Akteure nicht auf Russland beschränkt werden sollte — auch und gerade in Bezug auf die Offenlegung dieser Gesprächsrunde. Sind wir also eingeladen wurden, um einer Inszenierung beizuwohnen?
Beitrag von Peter Frey
Die Geschichte
Diese Geschichte beginnt nicht am 19. Februar, sondern am 1. März. Geschichten beginnen dann, wenn sie erzählt werden. Und jede Erzählung hat einen Sinn, einen Zweck, ein Ziel. Russia Today (RT) ist ein staatlich finanziertes russisches Medienunternehmen und selbstverständlich vertritt es Interessen des russischen Staates und seiner Regierung. Der RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan wurden Audioaufnahmen einer Telefonkonferenz hochrangiger Bundeswehroffiziere zugespielt, in denen diese recht freimütig darüber diskutierten, wie man russische Infrastruktur mit Taurus-Raketen zerstören könnte (1, 2).
Wer hat RT für diese Offenlegung ausgewählt und warum ausgerechnet diese? Das Wer lassen wir an dieser Stelle offen, das Weil lässt sich rasch beantworten. Weil die damit verbundene Botschaft gen Westen gerichtet ist. Wenn es noch ein reichweitenstarkes Medium im westlichen Orbit gibt, dann ist es RT. Warum ist es der russischen Führung — und nicht nur der — so wichtig, dass die Bevölkerung und die verantwortlichen Politiker dort Kenntnis von einer im ersten Anschein eher routinemäßigen Arbeitsbesprechung erlangen? Und setzen wir keinesfalls voraus, dass RT diese Informationen zwingend von einer russischen Behörde zugespielt wurden.
Eine Methode um Propaganda auszuhebeln, ist der breite, ungehinderte Zugang zur Primärquelle. Damit wird eine Schneise geschlagen zu den Informationen. Nicht mehr die tendenziöse Wertung Dritter zum Ereignis wird relevant, sondern die Inhalte des Ereignisses an sich. Im Falle unserer Geschichte hat sich das erneut gezeigt. Denn keine Filiale der deutschen Gleichstrommedien wagte es, ihren Konsumenten die Informationen vollständig zugänglich zu machen. Allesamt filterten sie Teile heraus und fragmentierten damit automatisch die „wahre“ Geschichte.
Allen Lesern sei daher an dieser Stelle empfohlen, sich diesen Mitschnitt anzuhören:
Eine ganze Reihe von Fragen beantwortetet sich schlicht durch Analyse dieses Vierergesprächs. Sofort als ich Kenntnis von der Geschichte bekam, stellte sich in mir geradezu spontan der Verdacht ein, dass dieses Datenleck kein Unfall war. Skepsis ist immer gut, Dissonanz produktiv. Unter dieser Prämisse ging ich in die Analyse der mitgeschnittenen Telefonkonferenz. Danach denke ich: Die vier Beteiligten sind grundsätzlich nicht in der Lage, weder aktiv noch passiv, wissentlich eine Inszenierung vorzuspielen, in der die gewünschte Offenlegung brisanter Informationen eingepreist ist. Vielmehr handeln diese Leute kurzsichtig, unreflektiert und völlig verantwortungslos.
Das einzige Problem was diese Leute hatten, war, dass ihr Treiben öffentlich werden könnte. Und tatsächlich sagte einer der Beteiligten: „Stell Dir mal vor, das kommt an die Presse!“, freilich nicht weiter denkend, welche Presse das sein sollte (3). Es hat einen gewissen Charme, dass nun genau dies passiert ist. Vor allem hat die „richtige“ Presse Zugang bekommen und eine „richtige“ Presse tut was? Sie entstellt das Material nicht, schneidet es nicht zurecht, hält es nicht zurück. Die für diesen Fall „richtige“ Presse war RT. Diejenigen, die diese Standards konsequent vermissen lassen, gefallen sich darin, RT als Propagandasender abzuqualifizieren (4).
Die Telefonkonferenz fand am 19. Februar statt, als Grundlage, vielleicht Entscheidungshilfe für einen Bericht zum Thema, der für den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius ausgefertigt werden sollte (5). Teilnehmer waren:
- der Kommandeur der Luftwaffe der Bundeswehr, Generalleutnant Ingo Gerhartz (hatte den Vorsitz der Telko),
- der Leiter der Abteilung Lufteinsatzzentrale des Weltraumkommandos der Bundeswehr, Brigadegeneral Stefan Fenske,
- der Vertreter der Einsatzzentrale des Weltraumkommandos der Bundeswehr, Sebastian Florstedt,
- der ehemalige Militärattaché Deutschlands in den USA und Leiter der Einsatz- und Übungsabteilung des Luftwaffenkommandos der Bundeswehr, Brigadegeneral Frank Gräfe (6).
In Singapur saß Frank Gräfe, was in dieser Abhandlung noch eine Rolle spielen wird.
In Russland ließ man sich Zeit oder bekam die Informationen mit Verzögerung. Jedenfalls veröffentlichte man den Leak erst zehn Tage später über die Medien. Ganz so, wie es im Westen Washington Post und New York Times tun, wenn es um die politisch genehme Veröffentlichung von Geheimdienst-Leaks geht.
Erklärungen
Welche Motive zur Aufdeckung dieser Diskussionsrunde könnten eine Rolle spielen? Bei der ARD kennt man solche, ohne sich dessen im Klaren zu sein. Unterbewusst ist man sich bewusst der selbst verbreiteten Lüge, dass der Westen nicht im Krieg mit Russland stünde:
„Aber auch andere hochsensible Informationen hätten die Militärs in dem Mitschnitt preisgegeben. Einige NATO-Partner wie Großbritannien, die USA oder Frankreich, dürften […] «nicht sehr happy darüber sein, was sie dort hören: dass Personal ihrer Militärs in der Ukraine bereits präsent ist».“ (7)
So es der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ernst meint, dass die Taurus-Lieferungen für Deutschland schwerwiegende Folgen — bis hin zu einem Deutschland als legitimen Angriffsziel für Russland — bedeuten könnten, könnte es seine Haltung, sich gegen diese Lieferungen zu stellen, stützen. Scholz laviert, ein Friedensengel ist er mitnichten. Zwei Tage nach dem Telefonat äußerte er seine Bereitschaft zur Lieferung weitreichender Waffensysteme an die Ukraine, wobei er lediglich die Taurus-Marschlugkörper ausschloss (8).
Der Skandal liegt aber nicht etwa in der Aufdeckung des Geheimen. Der Skandal steckt im politischen Auftrag, in der Agenda, welche die deutsche Politik ausführt.
Die deutschen Medien thematisierten dafür einen anderen, realen Skandal, der davon wegführt, aber überhaupt nicht neu ist. Der Skandal, dass Daten aus Deutschland durch Dritte abgesaugt werden, ist seit vielen Jahren chronisch. Und Russland steht eben nicht an erster Stelle bei den Verdächtigen, so sehr uns das Medien und Politik auch einzuhämmern versuchen (9). Sie, die Medien, kommunizieren, es wäre ein ganz furchtbarer Unfall bei der Geheimhaltung passiert. Das wahre Problem für Politik und Gleichstrommedien sind im konkreten Fall jedoch nicht etwa die hier genannten, konkreten Lecks an sich, sondern die Informationen, die über diese Lecks für die Bürger sichtbar wurden (10). Weiterlesen ›