Programmbeschwerde - Der Fünfkampf nach dem TV-Duell

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Maren
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Programmbeschwerde - Der Fünfkampf nach dem TV-Duell

Beitrag von Maren »

Westdeutscher Rundfunk
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Appellhofplatz 1
50667 Köln


Programmbeschwerde - Der Fünfkampf nach dem TV-Duell


Sehr geehrter Herr Buhrow,

in der ARD Sondersendung „Der Fünfkampf nach dem TV-Duell“ vom 04.09.2017 20:15 Uhr sprachen WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich und der Zweite Chefredakteur von ARD-Aktuell Christian Nitsche mit Spitzenpolitikern der Oppositionsparteien, sowie der CSU, AfD und der FDP über ausgewählte Themen vor der Bundestagswahl.

Ab Minute 22:50 ergreift die Spitzenkandidatin der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht, im direkten Anschluss an eine an sie gerichtete Frage (von der Moderation unwidersprochen) das Wort, um ihre Kritik am deutschen Rentensystem anzubringen und verweist in ihrer Argumentation auf das Rentensystem in Österreich, wo die gesetzliche Rente im Durchschnitt um 800 € höher ausfällt als in Deutschland.

Angesichts der Tatsache, dass Frau Wagenknecht zur Rententhematik überhaupt nicht befragt wurde, war Frau Mikich explizit auf das von der Linken in der Rentenfrage stets bemühte Vorbild Österreich gut vorbereitet. So hatte sich die Moderatorin offensichtlich Notizen zurechtgelegt, aus denen sie - für das Publikum live erlebbar - ihre Argumentation gegen Wagenknecht ablas. Nicht nur die merkwürdige Vehemenz der Intervention Mikichs fiel an dieser Stelle unangenehm auf, sondern auch das für Moderatoren unbotmäßige hineingrätschen in Sachargumentationen ohne dem Gegenüber die Chance einer Replik einzuräumen.

Durch die für das Motto der Veranstaltung „Fünfkampf“ wenig sachdienlichen, wie auch grob fehlerhaften, Behauptungen der WDR-Chefredakteurin wurde nicht nur die Argumentation der linken Kandidatin wahlbeeinflussend in Frage gestellt, sondern es wurde unzulässig und gegen die Vorgaben des Staatsvertrages (Gegen-)Partei ergriffen.

Die öffentlich-rechtliche Austragungsanstalt hat insbesondere bei einem politischen Duell der Spitzenkandidaten die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit zu berücksichtigen.
Angesichts der Anmaßung Mikichs die Verlautbarung einer in hohem Maße sachkundigen Politikerin vor einem Millionenpublikum in Zweifel zu ziehen, kann von einem bewusst und vorbereiteten Eingriff in die freie demokratische Meinungsbildung ausgegangen werden.

Die Moderatorin redet somit nicht nur servil der defizitären Rentenpolitik der Bundesregierung das Wort, sondern suggeriert, dass es mit linken oder alternativen Ansätzen (hier Österreich) nicht weit her sei. Mikichs parteiliches agieren in einer Runde, in deren Verlauf die WählerInnen und Wähler dieser Republik möglichst unvoreingenommen mit den Inhalten und Ansichten des politischen Spektrums in Deutschland vertraut gemacht werden sollten, stärkt in besonderem Maße konservative und rechte Positionen. Indem die Moderatorin sich zur Expertin in Rentenfragen aufschwingt und darüber hinaus der zu Unrecht bezichtigten Oppositionspolitikerin Wagenknecht das Recht einer Erwiderung absprach, wird der Eindruck einer vorbereiteten wahlbeeinflussenden Intrige gegen links offensichtlich.

Sahra Wagenknecht hat die ihr im öffentlich-rechtlichen Format „Der Fünfkampf nach dem TV-Duell“ verweigerte Replik auf Mikichs Notizen inzwischen in Form eines Faktenchecks auf Facebook veröffentlicht:
https://www.facebook.com/sahra.wagenkne ... =3&theater

Der Faktencheck zur Rente in Österreich

Eine gute gesetzliche Rente ist möglich, wenn alle – also auch Beamte, Selbständige und Politiker – fair einzahlen! So habe ich in der ARD-Sendung „Fünfkampf“ argumentiert. Mit dem Verweis auf Österreich, wo die gesetzliche Rente im Durchschnitt 800 Euro höher ausfällt.

Die Moderatorin stellte diese Aussage mit vier Argumenten infrage.

1. Es gibt in Österreich keine Pflegeversicherung, die durch die Rente abgedeckt wird.

Richtig ist:

Die Pflege (Pflegegeld) wird zwar in Österreich über die Rentenversicherung (Pensionsversicherungsanstalt) abgewickelt, aber ihre Leistungen (das Pflegegeld) werden in der Statistik getrennt aufgeführt. Außerdem ist das Pflegegeld in Österreich komplett steuerfinanziert! Das Argument, die Rente sei in Österreich deshalb höher weil daraus auch die Pflege finanziert würde, ist also Unsinn!

2. Die Rente in Österreich wird voll besteuert.

Richtig ist:

Auch in Deutschland werden Renten besteuert! Für den Rentenjahrgang 2017 gilt ein Besteuerungsanteil von 74 Prozent, der bis 2040 auf 100 Prozent steigen wird. Da Renten in Deutschland also je nach Jahrgang unterschiedlich besteuert werden, ist ein Vergleich kaum möglich – zumal es auch Freibeträge gibt: Renten bis zu einer Höhe von 1111,71 Euro monatlich brutto sind in Österreich z.B. steuerfrei. Schade, dass Frau Mikich nicht eine andere Statistik zu Renten und Steuern zitiert hat, die viel interessanter ist: Laut OECD hat Deutschland eine der niedrigsten Nettoersatzraten, d.h. die Rente fällt hierzulande im Vergleich zu den vorherigen Verdiensten so niedrig aus wie in kaum einem anderen Industrieland! Vor allem Geringverdiener werden bei der Rente extrem benachteiligt! Für Deutschland liegt die Nettoersatzrate bei 50 Prozent für einen durchschnittlich Verdienenden und bei 53 Prozent für einen Geringverdienenden Österreich erzielt eine Nettoersatzrate von 91,6 Prozent für einen durchschnittlich Verdienenden und 92,1 Prozent für einen Geringverdienenden!

3. Es gibt in Österreich eine andere Demografie, also mehr Erwerbstätige die Renten finanzieren würden.

Richtig ist:

Es stimmt: In Deutschland sind ca. 21% der Bevölkerung 65 Jahre und älter, in Österreich nur 18,5 Prozent – aber so groß ist der Unterschied nicht. Viel entscheidender ist außerdem, wie sich die Arbeitsproduktivität entwickelt und wie viele Menschen durch eine gut bezahlte und sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit in die Kassen einzahlen! Das kann man politisch gestalten: Höhere Löhne = mehr Geld in der Rentenkasse! Mehr Kitaplätze = mehr Möglichkeiten für Frauen, erwerbstätig zu sein u.a.

4. Es gibt in Österreich höhere Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente.

Richtig ist:

Ja, es gibt in Österreich höhere Abschläge bei der vorzeitigen Rente. Aber zum einen sind die Unterschiede marginal, zum anderen hat man in Österreich sehr viel mehr Möglichkeiten, frühzeitig in Rente zu gehen!



Die Rolle eines Moderators liegt in der Regel darin, Diskussionsverläufe und -klima in der Gruppe zu steuern und sich beim Einbringen von Inhalten zurückzuhalten. Die Lieferung inhaltlicher Inputs während einer politischen Diskussion im Vorfeld von Wahlen sollte jenen vorbehalten sein, auf deren Sachverstand die Wählerinnen und Wähler bauen. Ein Moderator sollte insbesondere Profi darin sein, sich zurückzuhalten und selbst in schwierigen Diskussionsverläufen eine neutrale Rolle einzunehmen.

Frau Mikich ist seit Jahrzehnten bekannt für ihre eigenwilligen Interpretationen politischen Weltgeschehens und innenpolitischer Großwetterlagen und sieht sich offenbar in der Pflicht, das Publikum in immer kürzer anmutenden Intervallen mit ihren Ansichten zu bekehren. Die ARD würde gut daran tun, für die demokratische Meinungsbildung wichtige Sondersendungen wie den „Fünfkampf“ mit weniger voreingenommenen Mitarbeitern zu besetzen und darauf zu achten, dass etablierte TV-Gesichter auch zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn erfolgreich der Verlockung widerstehen, sich öffentlich zu Experten der eigenen Agenda zu stilisieren.

Zum Zwecke der Transparenz werden wir diese Beschwerde sowie weiterführenden Schriftverkehr auf der Webseite des Vereins http://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen


Maren Müller
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Maren
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Re: Programmbeschwerde - Der Fünfkampf nach dem TV-Duell

Beitrag von Maren »

Antwort auf die Beschwerde kam aus der Chefredaktion Fernsehen des WDR:
5_Kampf_geschwärzt.pdf
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