ARD und "12 regierungstreue Kämpfer"

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Maren
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ARD und "12 regierungstreue Kämpfer"

Beitrag von Maren »

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Einreichers. Originale liegen vor.


Rundfunkratsvorsitzende
Frau Ute Schildt
Rothenbaumchausse 132
20149 Hamburg


Beschwerde vom: 14.8.2014

Tagesschau/Tagesthemen/Textnachrichten

Sehr verehrte Frau Vorsitzende,

gestern las ich in den ARD-Textnachrichten (13.8.14, 111, 22:07 Uhr), dass in der Ostukraine "12 regierungstreue Kämpfer" in einen Hinterhalt geraten und von Separatisten getötet worden seien. Im "Handelsblatt" war man da genauer und berichtete, dass es sich bei den Getöteten um "Neonazis" gehandelt habe.
Diese unterschiedliche Sprachregelung legt die Vermutung nahe, dass der "öffentlich-rechtliche Rundfunk" vertuschen möchte, dass der West-Vorzeige-Demokrat Poroschenko - mit schweigender Billigung durch die Bundesregierung - Nazi-Truppen an der "Befreiung der Ostukraine" teilnehmen lässt.
Wie ist das vereinbar mit den offiziellen Bekundungen, die Deutschen hätten aus der Geschichte gelernt und stünden entschlossen gegen alles Rechtsradikale? . Lippenbekenntnisse? Auch beim NDR?
Wie sehen Sie als Rundfunkratsvorsitzende und Mitverantwortliche für das Programm die verharmlosende Formulierung "regierungstreue Kämpfer"? Ein Verstoß gegen die NDRProgrammrichtlinien?
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das "Handelsblatt" in seiner Berichterstattung offensichtlich eher öffentlich-rechtlichen Standards entspricht als der öffentlichrechtliche Rundfunk selbst? Für eine Antwort wäre ich Ihnen dankbar.

Mit freundlichen Grüßen



Antwort vom 9. Oktober 2014

Ihre E-Mail

Sehr geehrter Herr ...

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 14. August 2014, die ich aufgrund der Urlaubszeit leider erst jetzt beantworten kann. Ich freue mich, dass Sie auch Jahre nach Ihrer Tätigkeit im NDR noch immer so engagiert die Arbeit des Senders begleiten. Wie ich höre, haben Sie sich in den zurückliegenden Monaten sehr intensiv mit der Ukraine-Berichterstattung der ARD beschäftigt.
Sie kritisieren in Ihrem Schreiben den Sprachgebrauch in den Nachrichten im ARD-Text vom 13. August 2014 (Tafel 111 um 22:07 Uhr), in denen von „12 regierungstreuen Kämpfern" in der Ostukraine die Rede war statt von „Neonazis" oder „Rechtsradikalen", wie es Ihrer Meinung nach richtig gewesen wäre. Ich habe die verantwortliche Redaktion von ARD-aktuell gebeten, zu Ihrer Kritik Stellung zu nehmen. In der Sache hat die Redaktion eine von Ihrer Wahrnehmung abweichende
Einschätzung. Sie kann aus der Formulierung kein Anzeichen für Verharmlosung oder Geschichtsvergessenheit erkennen. Dass das „Handelsblatt" das Ereignis mit anderer Pointierung beschreibt, spricht nicht zwingend für ein Versäumnis der ARD-Kolleginnen und -Kollegen. ARDaktuell hat schon mehrfach über die Rolle der Azow-Brigaden im Ukraine-Konflikt berichtet, auch darüber, dass sich dort viele Rechtsradikale finden. So beispielsweise auch in den „Tagesthemen" mit einem ausführlichen Hintergrundbeitrag am 21. August 2014, zu finden auftagesschau.de: http://www.tagesschau.de/multimedia/vid ... 18733.html
Den Einfluss des rechten Sektors und Swobodas hat ARD-aktuell darüber hinaus in diversen Schalten, Beiträgen und Kommentaren behandelt. Beispielsweise berichtete Golineh Atai am 22. August 2014 in den „Tagesthemen" darüber, dass die ukrainische Armee im Kampf gegen die Separatisten nicht gerade wählerisch sei. Sie setze auch auf Freiwillige, die dem „Rechten Sektor" angehören, auch auf die Gefahr hin, dass sich diese paramilitärischen Verbände verselbstständigen
könnten.

Sicherlich kann man bei der einen oder anderen Meldung sowie bei manchem Beitrag sagen, dass vielleicht eine andere Formulierung hätte gewählt werden sollen oder die Gewichtung hätte anders sein können. Aber zum einen haben wir es bei Nachrichten immer mit Erzeugnissen zu tun, die unter hohem Zeitdruck entstehen und zum anderen ist es immer einfacher, solche Texte mit dem Wissen der darauffolgenden Tage zu kritisieren, als sie in der konkreten Situation zu
erstellen.
Zudem halte ich es für angemessen und fair, wenn man die Ukraine-Berichterstattung nicht nur punktuell betrachtet, sondern sich ein Gesamtbild von der Arbeit der Korrespondentinnen und Korrespondenten vor Ort macht. Denn es ist dem Wesen von Nachrichten eigen, dass man nicht in jedem 90-Sekunden-Beitrag oder in jeder Meldung ein vollständiges Bild liefern kann. Betrachtet man die Summe aus den zahllosen Berichten und Meldungen der ARD zum Ukraine-Konflikt, stellt
sich aus meiner Sicht der Befund bei weitem nicht so negativ dar, wie in Ihrer Einschätzung.

Mit freundlichen Grüßen
Ute Schildt


Antwort auf die Antwort vom 23.10.2014

Ukraine-Berichterstattung

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 9. 10. 2014.
In Ihrem Schreiben rechtfertigen Sie sich dafür, dass im "Teletext" vom 13.8.2014 von "regierungstreuen Kämpfern" anstatt - wie im "Handelsblatt" - von "Neonazis oder Rechtsradikalen" die Rede ist. Sie meinen, der NDR habe mit seiner
verharmlosenden Formulierung lediglich eine "andere Pointierung" gewählt. Wer so etwas sagt oder schreibt, sollte einmal überlegen, wie sehr diese Formulierung bereits den Interessen von Faschisten nahekommt.
Wie hieß es kürzlich in einer Ausgabe der "Jüdischen Wochenzeitung": "Wir als Bürger der Bundesrepublik Deutschland haben die Pflicht, uns dagegen zu wehren, dass wir uns einer ukrainischen Regierung verpflichtet fühlen sollen, die bereit ist,
ihre politischen Ziele mit allen Mitteln zu erreichen — wenn es sein muss, auch mit nazistischen Gruppierungen."
Klingelt da nichts bei Ihnen, wenn Sie gefährliche Wort-Verharmlosungen nur als eine "andere Pointierung" begreifen?
Immer wieder höre ich, ARD-Aktuell berichte "auch" über die ukrainischen Faschisten. Dabei wird penetrant auf den Bericht vom 21.8.2014 von Golineh Atei verwiesen. Ich weiss nicht, ob Sie sich den Beitrag angesehen haben, ich vermute,
eher nicht, denn dann hätten Sie ihn nicht erwähnt.
Frau Atai stellt die Faschisten relativ harmlos vor ("Ultra-Rechte"), obwohl auch ihr bekannt sein müsste, welche Ziele diese Milizonäre verfolgen. Dazu von ihr kein Wort. Das Bataillon "Asow" z.B. gilt eindeutig faschistisch ausgerichtet.

Es verwendet nationalsozialistische Symbole. Der Führer der Einheit, Andrij Bilezki, sagte unter anderem: "Der historische Auftrag unserer Nation in diesem kritischen Augenblick ist es, die weißen Rassen der Welt anzuführen in einem
*» finalen Kreuzzug für das Überleben ... ein Kreuzzug gegen die von Semiten angeführten Untermenschen." (Telegraph).

Die Aussage eines Asow-Kämpfers auf AI Jazeera: "Wir haben zwei Feinde, einerseits Russland und andererseits die EU. Jetzt müssen wir uns erst mal um die pro-russischen Separatisten kümmern. Was danach kommt, wird sich zeigen."
Wenn demgegenüber Frau Atai der Eindruck zu erwecken vesucht, dass es sich bei diesen Faschisten lediglich um Leute handelt, die in den Milizen gut aufgehoben sind, weil sie dort Disziplin und Ordnung lernen und einen ukrainischen "Experten"
den Skandal runter reden lässt, dann ist das keine Aufklärung, sondern (wie der Begriff der "regierungstreuen Kämpfer") die Marginalisierung des bestehenden Faschismus in der Ostukraine. Das Gegenteil von dem, was daheim gegenüber NPD
und NSU vertreten wird .
Und auch sonst ist es nicht richtig, dass die ARD angemessen auf die faschistischen Umtriebe in der Ukraine eingegangen ist. Nicht einmal bei den Maidan-Gewalttätigkeiten, den Odessa-Morden oder das Zusammenschlagen von mißliebigen
Abgeordneten haben Frau Atei und ihre Kollegen die Rolle der Nazis hinreichend problematisiert.
Wenn Sie behaupten, in diversen Beiträgen habe man über den Einfluss des rechten Sektor oder die Partei Swobodas berichtet, dann ist das schlicht falsch.
Diese Beiträge gibt es allenfalls wie einzelne Nadeln im Heuhaufen, nicht einmal geeignet als Alibifunktion. Die Konfrontation mit den massiven kritischen Zuschauer- und Zuschauerinnenreaktionen müssten Sie eigentlich eines Besseren belehren.

Die ganz überwiegende Berichterstattung war davon geprägt, die bösen Putin-Russen und die "Separatisten" in den Focus der Aufmerksamkeit zu rücken. Nicht ohne Grund hat der ARD-Programmbeirat die Berichterstattung einstimmig "fragmentarisch", "tendenziös", "mangelhaft" und "einseitig" bewertet.
Ich finde es nicht gut, wie Sie - offensichtlich von der Kritik unbeeindruckt - mit Ihren Begründungen weiterhin "Potemkische Medien-Dörfer" aufrecht zu erhalten versuchen, das verletzt mich als jemanden, der ein überzeugter Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war und es bleiben möchte.
"In Deutschland dürfte eher die Hölle zufrieren, als dass ein Medienverantwortlicher öffentlich Fehler einräumt in Bezug auf die eigene Berichterstattung."

Das gilt offensichtlich auch für den Rundfunkrat.

Mit freundlichen Grüßen
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