Berichterstattung zum Verbot von Atomwaffen

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Maren
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Berichterstattung zum Verbot von Atomwaffen

Beitrag von Maren »

Mitteldeutscher Rundfunk
Anstalt des Öffentlichen Rechts
An die Intendantin
D-04360 Leipzig


22.01.2021


Programmbeschwerde zur Berichterstattung bezüglich dem Inkrafttreten des Vertrages zum Verbot von Atomwaffen, irreführende Darstellung

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf Ihrem Fernsehkanal MDR sendeten Sie am 22.01.2021 in Ihrer Nachrichtensendung MDR Aktuell 19:30 Uhr einen Beitrag zum Inkrafttreten des UN-Vertrags über das Verbot von Atomwaffen, weit hinten im Nachrichtenteil der Sendung.

Sie stellten dabei für die USA und für Russland in einem Diagramm eine „geschätzte“ Anzahl von Atomwaffen dar, und fassten in diesem Diagramm alle anderen Länder in einer Zahl zusammen. Mit letzterem haben Sie erreicht, dass optisch nicht erkennbar war, dass Russland und die NATO-Länder USA, Großbritannien und Frankreich zusammen ungefähr die gleiche Menge Atomwaffen besitzen.

Stattdessen entstand der gegenteilige Eindruck. Sie berichteten, dass „die meisten“ Atomwaffen „Russland gehören“, nämlich 6.375, und die USA 5.800 Gefechtsköpfe besitzen. Danach nannten Sie die Gesamtzahl der Atomwaffen in den übrigen Ländern, und machten dann ganz kurz wenige Sekunden lang eine Auflistung dieser anderen Länder mit den jeweiligen Zahlen, ohne weitere Kommentierung. Kleiner Trick mit gewisser propagandistischer Wirkung. (Das fast
täglich in den Sendern der ARD aufgeführte Bedrohungsszenario darf schließlich auch bei einem solch ernsthaften Thema nicht vernachlässigt werden.)

Nach kurzer eigener Recherche kann man feststellen, dass Sie die Zahlen verwendeten, welche das internationale Friedensforschungsinstitut SIPRI veröffentlicht hat in seiner Zusammenfassung seines Jahrbuchs 2020. Darin sind Gesamtzahlen atomarer Gefechtsköpfe aus 2019 genannt:
Russland 6.375

USA 5.800
China 320
Frankreich 290
Großbritannien 215
Pakistan 160
Indien 150
Israel 90
Nordkorea 30-40

Um die Zahlen einordnen zu können, wären weitere durch SIPRI genannte Zahlen wichtig gewesen. Sie haben in Ihrem Beitrag nicht unterschieden zwischen vorhandenen und operativ einsatzbereiten Atomwaffen, auch nicht nach Trägersystemen. SIPRI schreibt, dass weltweit ca. 3720 Gefechtsköpfe bei operativen Kräften stationiert sind, das heißt
einsatzbereit sind, davon ca. 1800 sogar in hoher Alarmbereitschaft. Hinsichtlich Trägersystemen hätten Sie konstatieren müssen, dass die USA einseitig aus dem INF-Vertrag zur Begrenzung von Raketensystemen mittlerer Reichweite im Jahr 2019 ausgestiegen sind. Und dass die USA unter Donald Trump es darauf angelegt hatten, auch den letzten wichtigen Abrüstungsvertrag New START für die Begrenzung der strategischen Atomwaffen im Februar 2021 auslaufen zu lassen.

Gemäß diesem noch geltenden Vertrag dürfen beide Länder jeweils 1.550 einsatzbereite Atomsprengköpfe besitzen. Beide Seiten müssen Inspektionen Ihrer jeweiligen Bestände zulassen.

Und nicht zuletzt hätte zu einer umfassenden Berichterstattung zu diesem Thema dazugehört, zu erwähnen, dass die USA (laut SIPRI) seit 2019 keine Angaben mehr zu Ihrem Atomprogramm veröffentlichen, genauso wie es laut SIPRI auch Israel handhabt. Auch der Ausstieg der USA aus dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) mit dem Iran im Jahr 2018 ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert.

Die derzeitige Modernisierung der US-Atombomben in Büchel / Rheinland-Pfalz wäre auch für Ihre Zuschauer in Mitteldeutschland interessant – aber das hätte sicherlich Ihre Sendezeit gesprengt.
„Vor 10 Jahren forderte der Bundestag, dass die letzten USAtomwaffen auf deutschem Boden verschwinden sollen. Heute sind sie immer noch da - und werden sogar modernisiert.“ (Quelle: Deutsche Welle)
Aber zumindest hatten Sie berichtet, dass Deutschland dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen auch nicht beitritt, „weil das Papier nicht den NATO-Regeln entspreche“. Wäre denn nicht diese tatsächlich offiziell verlautbarte, lächerliche Begründung ein Grund zu heftiger Kritik? Für Sie nicht, Sie sind ja in Bezug auf die NATO „embedded journalists“.

Ein wichtiger Treiber des zur Zeit neu einsetzenden Wettrüstens ist auch, dass die USA bereits 2002 aus dem ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen ausgestiegen sind. In den letzten Jahren war eine starke Zunahme der Inbetriebnahme solcher Systeme zu beobachten, was die gegnerischen Seiten nur zu noch mehr Entwicklungsaktivitäten anstachelt, Systeme zu entwickeln, welche die gegnerische Raketenabwehr überwinden können – einfach schon aus der Notwendigkeit heraus, ein strategisches Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Bedenkt man aber, dass dies alles
technische Systeme sind, bei denen Fehler möglich sind, so muss jeder eingestehen, dass immer mehr Waffensysteme nicht zur Erhöhung der gegenseitigen Sicherheit beitragen.

Der ehemalige russiche Präsident Gorbatschow hatte dies erkannt, der gegenwärtige russiche Präsident Putin weiß es auch und ist deshalb sehr bemüht, den Vertrag New START zu verlängern. Bisher schlug ihm diesbezüglich nur Arroganz aus den USA entgegen, z. B. plädierte Victoria Nuland im vergangenen Sommer in Foreign Affairs für eine provisorische Verlängerung von nicht mehr als zwei Jahren, mit folgender Begründung:

"Die eine Lektion, die Putin aus dem Kalten Krieg gelernt zu haben scheint, ist, dass US-Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion erfolgreich in den Ruin getrieben hat, indem er ein nukleares Wettrüsten erzwang. Da er nicht will, dass Russland das gleiche Schicksal erleidet, ist er begierig auf (...) New START", schrieb sie. Nach Ansicht von Nuland sollte Washington Putins Gefühl der Dringlichkeit nutzen, um New START mit umfassenderen Gesprächen über alle Aspekte der
militärischen Macht zu verbinden, einschließlich konventioneller Waffen, Weltraum und Cyberspace. (Quelle: RTdeutsch)

Mit Ihrer Berichterstattung verstießen Sie gegen Ihren Programmauftrag und gegen die Programmgrundsätze laut Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk:

§ 6 Programmauftrag
(1) Der MDR hat in seinen Sendungen einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale,
nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sein Programm
soll der Information und Bildung sowie der Beratung und Unterhaltung dienen und hat dem kulturellen
Auftrag des Rundfunks zu entsprechen. Er dient der freien individuellen und öffentlichen
Meinungsbildung. ...

§ 8 Programmgrundsätze
(1) Der MDR ist in seinen Sendungen an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden und der Wahrheit
verpflichtet. Er trägt zur Verwirklichung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bei und fördert die
Zusammengehörigkeit im vereinigten Deutschland.

(2) Der MDR hat in seinen Sendungen die Würde des Menschen sowie die sittlichen, religiösen und
weltanschaulichen Überzeugungen anderer zu achten. Er soll dazu beitragen, die Achtung vor Leben,
Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer zu stärken und die
Gleichstellung von Frau und Mann zu fördern. Die Sendungen dürfen sich nicht gegen die
Völkerverständigung und gegen die Wahrung von Frieden und Freiheit richten.

(3) Alle Informationssendungen (Nachrichten und Berichte) sind gewissenhaft zu recherchieren und
wahrheitsgetreu und sachlich zu halten. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen
gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. Die Redakteure sind bei der Auswahl und Sendung
der Nachrichten zur Objektivität und Überparteilichkeit verpflichtet. Kommentare sind deutlich von
Nachrichten zu trennen und unter Nennung des Verfassers als persönliche Stellungnahme zu kennzeichnen.
Sie haben dem Gebot journalistischer Fairness zu entsprechen. ...


Mit freundlichen Grüßen
Jens Köhler
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Maren
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Re: Berichterstattung zum Verbot von Atomwaffen

Beitrag von Maren »

Eingangsbestätigung vom MDR:
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Maren
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Re: Berichterstattung zum Verbot von Atomwaffen

Beitrag von Maren »

Antwort auf die Beschwerde aus der Juristischen Direkton des MDR:
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