ARD-aktuell-Tendenzberichterstattung über den OHCR-Bericht

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Maren
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ARD-aktuell-Tendenzberichterstattung über den OHCR-Bericht

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Programmbeschwerde: ARD-aktuell-Tendenzberichterstattung über den OHCR-Bericht
Tagesschau 08.02. 2016, 20 Uhr, Min 04.37 – Min 05.07


Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

ein weiterer Fall von Halbinformation (und damit ein Fall von Desinformation) seitens der Redaktion ARD-aktuell ist zu beklagen. In diesem o.g. 30 Sekunden langen Filmbericht werden der syrischen Staatsführung genozidaler Massenmord und Massenfolter vorgeworfen, zitiert wird das aus der Pressekonferenz des Hohen UN-Kommissars für Menschenrechte (OHCR).

Was die Tagesschau allerdings unterschlägt, ist der zweite Berichtsteil des OHCR, in dem allen Terrororganisationen in Syrien, von IS und Jabat al-Nusra bis sogar zur „Freien Syrischen Armee" (FSA) die gleichen schweren Vorwürfe gemacht werden: Geheimgefängnisse, Folter, Mord, Massaker in ungezählten Fällen.

Diesen Teil des Berichts, gut nachzulesen bei Telepolis, unterschlägt ARD-aktuell komplett, darüber berichtet die Tagesschau kein Wort. Ihr gelten, wie wir mittlerweile von Dr. Gniffke und Volker Schwenck wissen, ja einige der Terrororganisationen nur als „bewaffnete Opposition". Es sind die „gemäßigten Rebellen", und mit der FSA sogar der Heils- und Demokratiebringer für Syrien schlechthin, denen die OHCR den gleichen verbrecherische Charakter nachsagt, wie der „Westen" ihn der staatlichen syrischen Seite vorwirft.

Das passt natürlich nicht in einen TS-Agitprop-Bericht fürs deutsche Publikum, schon gar nicht, weil Kanzlerin Merkel sich in der trauten Obhut von Kurden-Mörder Erdogan so mächtig über die Bombardierung der Terroristen in Aleppo aufgeplustert hatte. UN-Informationen über den islamistischen Terroristen könnten in diesem Zusammenhang ja zu dem Rückschluss führen, dass die Hauptschuldigen an all den Kriegsverbrechen Mitglieder der "westlichen Wertegemeinschaft" sind, die sich mit Hilfe der deutsch-orientierten Waffenimporteure aus Saudi-Arabien und der unverzichtbaren Flüchtlingshelferin Türkei zum Regime Change in Syrien verschworen.

Irren wir uns? Gut, wir nehmen also an, dass wegen der Fülle anderer wichtiger Themen an diesem 08.02.2016 es der Redaktion ARD-aktuell nicht möglich war, die zusätzlichen Ausführungen des OHCR-Berichtes über Syrien dem Publikum nahezubringen. Sicher wird Chefredakteur Dr. Gniffke wieder Belege dafür bringen, dass vor undenklicher Zeit die Tagesschau sehr wohl einmal einen kritischen Bericht über die FSA und andere „Rebellen" in Syrien gebracht hat. Auf jeden Fall hat er erneut unter Beweis gestellt, dass Propaganda sein bevorzugtes Handwerk ist.

Wir halten also fest, dass die hier angesprochene TS-Sendung eine absolut einseitige Darstellung des OHCR-Berichts veröffentlichte und mit dieser Nachrichtenmanipulation gegen den Auftrag gem. Staatsvertrag sowie gegen alle journalistischen Anstandsregeln verstieß.

Wir fordern den Rundfunkrat zur kritischen Prüfung des Falles auf.


Höflich grüßen

Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer
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Maren
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Re: ARD-aktuell-Tendenzberichterstattung über den OHCR-Bericht

Beitrag von Maren »

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Programmbeschwerde vom 10.2.2016 - UN-Bericht - Hier: Stellungnahme v. ARD-aktuell
UN_Stellungnahme-4_geschwärzt.pdf
(3.31 MiB) 751-mal heruntergeladen


Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Stellungnahme des ARD-aktuell Chefredakteurs vom 14.3.16 sind wir nicht einverstanden und bitten um Befassung mit unserer Beschwerde im Rundfunkrat.

Erlauben Sie bitte eine generelle Begründung, bevor wir unseren Protest im Speziellen darlegen. Es widerspricht jeglichem Verständnis von guter redaktioneller Arbeit, Informationen "vom Hofe“ unvollständig und unbearbeitet lediglich durchzureichen. Es ist Journalistenpflicht, die Quellen der Information, deren Kontext, den Einfluss von „Zeitgeist“ und sogar den der Informations-Übermittler (z.B.„prowestliche“ kommerzielle Nachrichtenagenturen) im Blick zu behalten. Es ist Journalistenpflicht, die Nachrichten entsprechend abgewogen und konnotiert weiterzugeben, so dass sie ein unbedarftes heterogenes Publikum angemessen aufnehmen und einordnen kann.

Im vorliegenden Fall – OHCR-Bericht – hatte nicht etwa ein unabhängiges Gericht sein Urteil verkündet, sondern eine politische Kommission hatte Untersuchungsergebnisse über Gräuel in Syrien vorgelegt. Eine Kommission, die unter dem Vorsitz eines jordanischen Prinzen steht, fraglos eines USA-Verbündeten und von Syrien-kritischer Einstellung.

Journalistisch zu bedenken war, dass die UN-Menschenrechtskommission sogar genötigt ist, einen Vertreter der saudi-arabischen Diktatur in ihren Reihen zu ertragen. Nicht zuletzt war zu beachten, dass die Ermittlungsbasis des OHCR-Berichts, die 621 befragten Zeugen, angesichts der Viertelmillion Kriegstoten und der Unzahl von Vermissten und Verletzten keinesfalls als repräsentativ anzusehen ist und jedenfalls keine Grundlage dafür bietet, einer der Kriegsparteien größere und schwerere Schuld anzulasten als der anderen.

Das geschieht in dem Bericht übrigens auch gar nicht. Der OHCR-Hochkommissar hat ein Gutachten vorgelegt, das aus systematischen Gründen nach „institutionalisierten, konsistenten“ Untaten (vom Staat begangen) und nach willkürlichen, dem Terrorismus zuzuordnenden Untaten unterscheidet. Dass es den Opfern scheißegal war, ob sie institutionell zu Tode gefoltert wurden oder nicht-konsistent, davon war in jedem Falle auszugehen. Es wäre Aufgabe der ARD-aktuell-Redaktion gewesen, diesen OHCR-Bericht nicht nur partiell (und höchst einseitig) simpel weiterzugeben, sondern ihn unter Berücksichtigung aller genannten Zusammenhänge mit der gebotenen Distanziertheit zu behandeln.

Wir hatten im Detail kritisiert:

"In diesem o.g. 30 Sekunden langen Filmbericht werden der syrischen Staatsführung genozidaler Massenmord und Massenfolter vorgeworfen, zitiert wird das aus der Pressekonferenz des Hohen UN-Kommissars für Menschenrechte (OHCR). Was die Tagesschau allerdings unterschlägt, ist der zweite Berichtsteil des OHCR, in dem allen Terrororganisationen in Syrien, von IS und Jabat al-Nusra bis sogar zur „Freien Syrischen Armee“ (FSA) die gleichen schweren Vorwürfe gemacht werden: Geheimgefängnisse, Folter, Mord, Massaker in ungezählten Fällen.

Diesen Teil des Berichts, gut nachzulesen bei http://m.heise.de/tp/artikel/47/47357/1.html unterschlägt ARD-aktuell komplett, darüber berichtet die Tagesschau kein Wort. Ihr gelten, wie wir mittlerweile von Dr. Gniffke und (dem Korrespondenten) Volker Schwenck wissen, ja einige der Terrororganisationen nur als „bewaffnete Opposition“. Es sind die „gemäßigten Rebellen“, und in Gestalt der „Freien Syrischen Armee“ sogar der Heils- und Demokratiebringer für Syrien schlechthin, denen die OHCR den gleichen verbrecherischen Charakter nachsagt, wie der „Westen“ ihn der staatlichen syrischen Seite vorwirft."

Gniffke:

"In unserer Meldung nehmen wir Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Führung, da von Regimegegnern begangene Menschenrechtsverletzungen laut UN-Bericht nicht „institutionalisiert oder konsistente Praxis“ waren. Der Bericht selbst nimmt hier ausdrücklich eine differenzierte Bewertung vor und unterscheidet vom systematischen Foltern und Morden der Assad-Führung. Dem tragen wir in unserer Meldung Rechnung und legen den Schwerpunkt entsprechend."

Bewertung:

Gniffke lügt. Es ist davon auszugehen, dass der Chefredakteur unsere Kritik auf ihre Begründetheit überprüft, d.h., sich die Faktenlange genau angesehen hat, auf der die kritisierte Meldung beruht, und zwar bevor er sich äußerte. Es kann dem Chefredakteur nicht entgangen sein, dass im UN-Bericht gleichrangig über die Grausamkeiten der Kriegsbeteiligten berichtet wird. Dies zeigt sich bereits im einführenden "summery" und dann in den übergangslosen Ausführungen ab Nr. 65 des Berichtes. Ab dort werden die Grausamkeiten der islamistischen Terrorbanden dokumentiert. Die Foltervorwürfe der OHCR gelten allen Kriegsparteien. Die Befragung von 621 Betroffenen hat ergeben, dass Misshandlungen, Folter "provisorischen"Gefangenenlagern begangen wurden, voran vom IS und der Jabat-al Nusra, aber auch von der „Freien Syrischen Armee“. Unterschiedslos sieht die UN-Kommission hierin Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Gniffke unternimmt im übrigen ein weiteres Mal den amoralischen Versuch, die Verbrechen der Assad-Gegner für weniger gravierend auszugeben als identische Verbrechen, die von staatlichen Organen zu verantworten sind. Seine Begründung: Die Kopfabschneidepraxis der islamistischen Terroristen sei im UN-Bericht als nicht "institutionalisiert oder konsistente Praxis" eingestuft, für ARD-aktuell sei sie deswegen weniger berichtenswert als die Folterpraxis der staatlichen Institutionen. Mit Verlaub: Zynischer kann der journalistische Umgang mit den Opfern des syrischen Krieges nicht ausfallen.

Die Rechtfertigung, andere deutsche "Qualitäts"medien hätten ich gleicher Weise berichtet, belegt erneut das Unverständnis dieses Mannes vom hohen Anspruch an die Nachrichtengebung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wer zu erkennen gibt, dass sich seiner Ansicht nach die Nachrichten der Tagesschau am besten nicht von denen anderer Medien unterscheiden, der provoziert die hochproblematische Frage nach der Entbehrlichkeit des öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Genres.

Es erscheint vor diesem Hintergrund begreiflich, dass die Tagesschau möglicherweise nicht einmal erkannt hatte, dass der ganze Agentur-Schmarrn, aus dem ihre Meldung beruht, auch noch aus der New York Times kritiklos abgekupfert worden war.

Fazit: Inhaltlich kann Gniffke den Vorwurf der Einseitigkeit der hier in Rede stehenden TS-Meldung nicht widerlegen. Er versucht es deshalb mit einer Lüge und mit unglaublich zynischen Pseudo-Argumenten.

Wegen der agitatorischen Schlagseite der kritisierten Meldung bleiben wir bei unserem Vorwurf der Tendenzberichterstattung.

Mit höflichem Gruß
F. Klinkhammer und V. Bräutigam
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