NORDDEUTSCHER RUNDFUNK
Gremienbüro/Intendanz
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg
Vorab via Mail:
gremienbuero-beschwerden@ndr.de
intendanz@ndr.de
Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte,
sehr geehrter Herr Knuth,
wir erhoben am 01.08.2024 Programmbeschwerde wegen unkommentierten inhaltlichen Änderns eines Beitrages des Faktenfinders im Onlineangebot der Tagesschau. Die Beitragsversion vom 31.07.2024 enthielt drei abweichende Textstellen von der Originalversion, deren Änderungen weder kenntlich gemacht noch die inhaltliche Richtigstellung transparent dargestellt wurden.
Ursprungsversion beanstandeter Beitrag:
https://web.archive.org/web/20240730071825/https://www.tagesschau.de/faktenfinder/bsw-wagenknecht-ukraine-russland-100.html
Geänderte Version:
https://web.archive.org/web/20240730071825/https://www.tagesschau.de/faktenfinder/bsw-wagenknecht-ukraine-russland-100.html
Unsere Programmbeschwerde richteten wir an den Intendanten des NDR, geantwortet bzw. unterschrieben hat der Chefredakteur von ARD-aktuell, Marcus Bornheim.
Es ist demnach davon auszugehen, dass Herr Knuth keine Kenntnis von der Arbeitsweise des hauseigenen Faktenfinders hat, die in eklatanter Weise von der journalistischen Sorgfaltspflicht abweicht, die in den Qualitätsrichtlinien des NDR, der Staats- und Medienverträge, sowie im Pressekodex festgeschrieben sind.
Jeder Blogger, der etwas auf sich hält, kennzeichnet inhaltliche Änderungen transparent und fair und gesteht auch Fehlinformationen ein.
Beispiel:
https://www.mimikama.org/bsw-verbreitung-russischer-propaganda/

- BSW MIMIKAMA.JPG (114.3 KiB) 9963 mal betrachtet
Laut Antwortschreiben von Marcus Bornheim sei es ausreichend, wenn textliche Ergänzungen im beanstandeten Artikel durch die Aktualisierung des Zeitstempels kenntlich gemacht würden. Ein Korrekturhinweis sei nur dann notwendig, wenn falsche Informationen im Artikel korrigiert werden. Das Problem bei dieser Argumentation ist, dass der Ursprungs-Artikel sehr wohl falsche Informationen enthielt und die Politikerin Sahra Wagenknecht durch den Faktenfinder Siggelkow ehrenrührig der gezielten Verbreitung prorussischer Desinformation bezichtigt wurde.
1.) Warum sonst wurde der Artikel nachträglich geändert, wenn er keine Fehler enthielt?
2.) Warum sollte das Fehlen von - zum Verständnis des Geschriebenen - wichtigen Kontextes nicht als Fehler betrachtet werden? Der BR-Faktenfuchs (ARD) etwa sieht das so, wenn er schreibt: "Eine aufgestellte Behauptung, die wichtigen Kontext auslässt oder bei der eine Einordnung von Zahlen in den Kontext fehlt, bezeichnen wir als irreführend."
Quelle:
https://www.br.de/nachrichten/deutschla ... ck,Ta4ci8u
3.) Ist die Änderung des Satzes „So suggerierte Wagenknecht beim ZDF-Polittalk von Maybrit Illner, das Kiewer Krankenhaus Ochmadyt sei nicht von einer russischen Rakete abgeschossen worden, sondern mutmaßlich von einer ukrainischen Flugabwehrrakete“ zu "...sei nicht von einer russischen Rakete getroffen worden, sondern mutmaßlich von Trümmerteilen einer ukrainischen Flugabwehrrakete" nicht als Korrektur eines Fehlers zu werten, die transparent gemacht werden müsste?
In der Version des Beitrags „Bündnis Sahra Wagenknecht: Auf Linie mit der russischen Propaganda“ von Pascal Siggelkow vom 30.07. um 8:59 Uhr hieß es:
„Ebenfalls bei einer Polittalkshow hatte Wagenknecht behauptet, dass der deutsche Rüstungshaushalt bei 90 Milliarden Euro liege. Auch das ist nicht richtig. Der Verteidigungshaushalt für das laufende Jahr liegt regulär bei 51,95 Milliarden Euro, hinzu kommen 19,8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Beschaffung von militärischer Ausrüstung. Das macht insgesamt knapp 72 Milliarden Euro.“
Diese Art Rosinenpickerei zu nutzen, nur um Wagenknecht faktische Fehler in der Argumentation zu unterstellen, ist eines seriösen Journalismus unwürdig. Der Begriff Rüstungshaushalt wird oft synonym für Militärausgaben und Verteidigungsausgaben, Verteidigungsetat bzw. Verteidigungshaushalt verwendet. Man findet auch in den Angeboten von ARD-aktuell passende Beispiele, die nach Siggelkows Diagnose glatte Desinformation wären. Die Zahl entspricht exakt der offiziellen Meldung der deutschen Bundesregierung über die Verteidigungsausgaben an die NATO vom Juni 2024.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nato-verteidigungsausgaben-106.html
Entsprechend angepasst erschien dann die geänderte Version vom 31.07. um 18:16 Uhr, die inhaltlich dazu geeignet ist, die Position Wagenknechts zu stützen:
„Zwar gab die Bundesregierung gegenüber der NATO an, für Verteidigung und Sicherheit insgesamt 90,6 Milliarden Euro auszugeben, behilft sich dabei allerdings mit Rechentricks: So sollen unter anderem auch Zinsen für Rentenzahlungen oder Entwicklungshilfeausgaben mit einberechnet sein.“
Wenn das keine Korrektur einer Falschinformation ist, was ist es dann? Schließlich beruhte die angebliche Falschaussage Wagenknechts auf Angaben der Regierung.
Eine weitere Falschbehauptung lieferte Siggelkow in der Ursprungsversion mit dem Satz:
„So suggerierte Wagenknecht beim ZDF-Polittalk von Maybrit Illner, das Kiewer Krankenhaus Ochmadyt sei nicht von einer russischen Rakete abgeschossen worden, sondern mutmaßlich von einer ukrainischen Flugabwehrrakete.“
Dieser inhaltliche Fehler wurde im Beitrag ohne Kenntlichmachung folgendermaßen korrigiert:
“ … sondern mutmaßlich von Trümmerteilen einer ukrainischen Flugabwehrrakete getroffen worden.“
Die im Ursprungsbeitrag insinuierte Unterstellung und fragwürdige Formulierung, Wagenknecht hätte suggeriert, eine ukrainische Flugabwehrrakete habe das Kiewer Krankenhaus Ochmadyt „abgeschossen“, birgt eine erheblich brisantere inhaltliche Aussage als die tatsächliche Formulierung Wagenknechts, dass die Zerstörung mutmaßlich durch Trümmerteile von Raketen verursacht worden sei. Ein Hinweis auf diese Korrektur wäre schon aus journalistischem Anstand notwendig gewesen. Marcus Bornheim räumt darüber hinaus in seinem Antwortschreiben ein, dass der Artikel im Nachhinein geändert wurde, um auf ein Gegenargument einzugehen, was gleichwohl für die Relevanz der inhaltlichen Änderung spricht.
Aus Gründen der Auffindbarkeit und Transparenz halten wir eine öffentliche Korrektur in einem neuen Beitrag für erforderlich.
Begründung:
- Die unkommentierte Änderung des Zeitstempels spricht nicht für Transparenz, sondern für Desinformation.
- Es ist nicht erkennbar, wann der Artikel erstmalig erschienen ist und ob es eine Vorversion gab.
- Die inhaltlichen Änderungen sind nicht erkennbar, außer, man bemüht (wie wir) das Internetarchiv.
- Das Einfügen fehlenden Kontextes ist in jedem Fall eine inhaltliche Korrektur.
- Der Faktenfinder unterstellt Wagenknecht Falschaussagen und verschweigt die Korrektur.
- Die fehlerhafte Ursprungsfassung des Artikels stand am Tag des Erscheinens als Aufmacher auf der Startseite von Tagessschau.de.
- Die korrigierte Fassung schaffte es trotz veränderten Zeitstempels nicht auf die Startseite.
- Wie immer dürfte der Anteil der Rezipienten gering sein, die sowohl die irreführende Ursprungsversion gelesen als auch die Korrekturen zur Kenntnis genommen haben.
- Bedenkliche Breitenwirkung: Im Wikipedia-Eintrag zum BSW wurde das Unterkapitel „Prorussische Positionen und Desinformationsvorwürfe“ nach Erscheinen des fehlerhaften Faktenfinder-Artikels und offensichtlich auf dessen Basis eingefügt. Bis 31.7. gab es diesen Eintrag noch nicht.
Das umfangreiche Antwortschreiben des Chefredakteurs Marcus Bornheim besteht größtenteils aus Wiederholungen unserer Vorwürfe und nicht seriös belegbaren Beschuldigungen unter Berufung auf andere Quellen oder „Experten“, wodurch die Beweislast und die damit verbundene journalistische Eigenverantwortung des Faktenfinders für die Außenwirkung der verbreiteten Anschuldigungen umgangen werden. Die von uns geforderte transparente Kenntlichmachung redaktioneller Änderungen stellt zudem keine größeren Anforderungen in Bezug auf geistig und körperlichen Arbeitsaufwand dar. Dessen Vermeidung jedoch lässt Rückschlüsse auf die Arbeitsweise einzelner Mitarbeiter des NDR zu.
Die von uns beanstandete Vorgehensweise des Faktenfinders verstößt gegen folgende Richtlinien für seriösen Journalismus:
Qualitätsrichtlinie der Rundfunkräte für die ARD-Gemeinschaftsangebote, gem. § 31 Abs. 4 MStV
Siehe Punkt 6.3: Inhaltliche Korrekturen oder Richtigstellungen sind an geeigneter Stelle und in angemessener Weise darzustellen.
https://www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/ ... nie100.pdf
In Ziffer 3 des Pressekodex – Richtigstellung heißt es:
Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, insbesondere personenbezogener Art, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen.
Richtlinie 3.1 – Anforderungen
(1) Für den Leser muss erkennbar sein, dass die vorangegangene Meldung ganz oder zum Teil unrichtig war. Deshalb nimmt eine Richtigstellung bei der Wiedergabe des korrekten Sachverhalts auf die vorangegangene Falschmeldung Bezug. Der wahre Sachverhalt wird geschildert, auch dann, wenn der Irrtum bereits in anderer Weise in der Öffentlichkeit eingestanden worden ist.
(2) Bei Online-Veröffentlichungen wird eine Richtigstellung mit dem ursprünglichen Beitrag verbunden. Erfolgt sie in dem Beitrag selbst, so wird dies kenntlich gemacht.“
„Die Empfindung, dass mit manchen Beiträgen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwas nicht stimmt, teilen inzwischen viele Menschen. Und dieser Eindruck, manipuliert zu werden, folgt nicht aus einzelnen Fehlern, die man gutwillig oder böswillig interpretieren kann. Der Eindruck der Manipulation rührt von einem viel tiefer gehenden Phänomen her.“ (Stegemann 2023)
Eines davon beklagen wir hiermit und bitten dabei um Ihre unvoreingenommene Unterstützung.
Aus Gründen der Transparenz werden wir diesen Schriftverkehr sowie die Antwort der Programmverantwortlichen auf der Webseite des Vereins
https://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Maren Müller