Rede zur verfassungsrechtlichen Lage in Venezuela

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Maren
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Rede zur verfassungsrechtlichen Lage in Venezuela

Beitrag von Maren »

Heiner Fechner zur verfassungsrechtlichen Lage in Venezuela

Zuletzt aktualisiert: 11. Februar 2019
Rede bei einer Protestkundgebung in Bremen am 09.02.2019 gegen die Einmischung in Venezuela

Die Bundesregierung hat den Parlamentspräsidenten Guaidó als sogenannten „Übergangspräsidenten“ anerkannt, nachdem dieser sich selbst dazu ausgerufen hatte. Sie beruft sich wie auch die venezolanische Opposition auf Artikel 233 der venezolanischen Verfassung. Danach übernimmt der Parlamentspräsident die Amtsgeschäfte, wenn der gewählte Präsident noch vor Amtsantritt ausfällt. Als solche Ausfälle bezeichnet die Verfassung den Tod, den Rücktritt, die Abberufung durch den Obersten Gerichtshof, die medizinisch bescheinigte und von Oberstem Gerichtshof und Parlament bestätigte Amtsunfähigkeit, die Amtsaufgabe, sowie die Abwahl durch Abwahlreferendum.

Liegt auch nur einer dieser Gründe vor? Nein!

Aber wie steht es um die Präsidentschaftswahlen 2018? Führen diese wegen Illegalität zum Ausfall des Präsidenten, weil seine Amtszeit abgelaufen ist?

Die Bundesregierung und US-Präsident Trump halten die Wahlen 2018 für illegitim. Sie sagen, die Wahlen hatten keinerlei demokratischen Grundsätzen genügt. Aber stimmt das auch? Oder wie kommen sie darauf?

Zuständig für die Beurteilung dieser Fragen ist eigentlich der Oberste Gerichtshof Venezuelas. Seine Meinung spielt in den Medien allerdings keine Rolle. Denn dort wurden die Wahlen von der Oppositionsmehrheit gar nicht angegriffen.

Der Grund: ein Großteil der Opposition hat die Wahlen letztes Jahr boykottiert. Daher lag die Wahlbeteiligung auch nur bei knapp 50 Prozent. Also nur so hoch, wie regelmäßig im Nachbarland Kolumbien, und etwas weniger als regelmäßig in den USA. Aber reicht das aus, um die Wahlen zu delegitimieren?

Ich habe da keine Zweifel: die Antwort lautet nein! Wenn die SPD, die CDU oder die Linken hier Wahlen boykottieren würden, hätte das nur zwei Folgen: sie könnten als Partei die Wahlen nicht anfechten, wenn sie die Teilnahme nicht einmal versucht hätten. Denn dann könnten ihre Rechte auch nicht verletzt sein. Und sie müssten beim nächsten Mal Unterstützungsunterschriften sammeln. Im Kern genauso wie in Venezuela. Aber die Wahl wäre nicht unwirksam.

Wurde der Opposition die Teilnahme an den Wahlen verboten? Nein, ganz im Gegenteil! Nachdem die Opposition 2017 gewalttätige Proteste durchgeführt hatte, hatte die Regierung Maduro unter internationaler Vermittlung Verhandlungen aufgenommen. Die Forderung der Opposition war: sofortige Präsidentschaftswahlen. Unter Vermittlung des ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Rodriguez Zapatero und anderer einigte man sich dann im Februar/März 2018 darauf, die Wahlen Ende April 2018 durchzuführen. Aber als der Vertrag unterschriftsreif vorlag und der dominikanische Präsident zur feierlichen Unterzeichnung eingeladen hatte, kam es zur Schmierenkomödie: der damalige Oppositionschef Borges weigerte sich, zu unterzeichnen. Wie bei einer Hochzeit mit internationalen Gästen, bei der Braut oder Brautigam vor dem Altar plötzlich ,,nein“ sagen.

Die Hälfte der Opposition nahm trotzdem an den Wahlen teil. Auf Bitte dieser Oppositionsteile, wurde die Wahl vom Nationalen Wahlrat um einen Monat verschoben. Der Oppositionskandidat Henri Falcón war kein Unbekannter: er war langjähriger Chef einer größeren sozialdemokratischen Partei, seit 2008 Abtrünniger des Chavismus, und auch nominiert von der venezolanischen Schwesterpartei der CDU, COPEI. AuBerdem war er viele Jahre Gouverneur eines der größten Bundesstaaten Venezuelas, des Staates Lara. Aber wegen des Wahlboykotts seiner vermeintlichen Verbündeten hatte er keine Chance gegen Maduro.

Wie legitim ist die Wahl also? Maduro wurde von knapp 67 % der Wähler_innen gewählt. Das sind mehr als 30 % der Wahlberechtigten. Vergleichen wir: bei Präsident Trump waren es 25,5 %. Weniger übrigens als bei Hillary Clinton, die nicht Präsidentin wurde. Aber Herr Trump hält die Wahlen in Venezuela für illegitim. Und verlangt Neuwahlen. Mit welchem Recht? Und warum fordert die Bundesregierung keine Neuwahlen in den USA? Und erkennt Hillary Clinton als Übergangspräsidentin an?

Gab es in Venezuela vielleicht eine Wahlfälschung? Nein, und das ist im venezolanischen Wahlsystem auch kaum möglich. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, der mit seinem Carter-Center in rund 100 Ländern Wahlen beobachtet hat, hält das venezolanische Wahlsystem technisch für das beste der Welt. Viel sicherer als das der USA übrigens.

Ein weiterer Vorwurf: Maduro habe das Parlament entmachtet und ein Parallelparlament eingesetzt. Das stellt die Tatsachen auf den Kopf! Warum? Bei den Parlamentswahlen war es 2015 zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Zwei zur Opposition gehörende Kandidaten für die Sitze der indigenen Minderheit hatten vor laufender Kamera Wähler_innen bestochen und waren so gewählt worden. Auf Antrag der Gegenkandidaten entschied der Oberste Gerichtshof, dass die beiden Oppositionsabgeordneten wegen erdrückender Beweise nicht vereidigt werden durften. Sie sollten nicht zu Parlamentariern werden. Da für die Opposition die 2/3-Mehrheit im Parlament davon abhing, hat sie das Urteil des Obersten Gerichtshofs ignoriert und die beiden trotzdem vereidigt.

Damit ist seitdem das Parlament falsch zusammengesetzt. Der Oberste Gerichtshof urteilte daher wiederholt, dass sämtliche Akte des Parlaments unwirksam sind, solange die Vereidigung nicht rückgängig gemacht wird. Die Opposition ist dem Urteil des Obersten Gerichtshofs bis heute nicht nachgekommen.Sie hat sich also selbst außer Kraft gesetzt und entmachtet.

Da Venezuela so seit Anfang 2016 ohne funktionsfähiges Parlament ist, kam es zunehmend zum Gesetzgebungsnotstand. Das oppositionelle Parlament sah und sieht als seine wesentliche Aufgabe den Sturz der Regierung an - entgegen der Verfassung. Wenn es wegen eines Verfassungskampfes zu einem Stillstand zwischen den Staatsorganen kommt, ermöglicht die venezolanische Verfassung von 1999 in seinen Artikeln 347 bis 350 die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung. Demnach kann das venezolanische Volk eine verfassunggebende Versammlung mit dem Ziel einberufen, den Staat zu transformieren, eine neue Rechtsordnung zu erschaffen und eine neue Verfassung zu entwerfen. Nach Artikel 349 dürfen sich die bestehenden Staatsgewalten einschlieBlich des Präsidenten keiner Entscheidung der verfassunggebenden Versammlung entgegenstellen.

Präsident Maduro machte Mitte 2017 inmitten des Staatsstillstands und groBer Unruhen von seinem Recht Gebrauch, die Wahl einer solchen verfassunggebenden Versammlung einzuberufen. Die Opposition, die das Vertrauen der Bevölkerung verspielt hatte, sah hier keine Chance und rief schon damals zum Boykott der Wahl auf. Entsprechend ist sie nicht in der verfassunggebenden Versammlung vertreten. Das verantwortet nicht Präsident Maduro, sondern die Opposition selbst. Allerdings wurde sie von Anfang an bei diesem Boykott von den USA und ihren westlichen Verbündeten unterstützt.

Wer den Rechtsstaat und die demokratische Selbstbestimmung schützen will, muss sich hier gegen die Einmischung von außen, vor allem gegen die USA stellen. Denn in Venezuela geht es ums Öl. Es geht um Verteilungsfragen. Und es geht um den vermeintlichen Hinterhof der USA.

Venezuela besitzt sehr viel Öl — das größte Vorkommen der Welt. Präsident Trump hat vor wenigen Tagen gesagt: die Einmischung in Libyen gegen Gaddafi war falsch — er hatte das nur gemacht, wenn die dortige Opposition zunächst US-Unternehmen 50 % ihres Öls versprochen hätte. Was hat also die von den USA und Deutschland unterstützte Opposition dem Westen versprochen, dass dieser mitspielt?

Aber es geht nicht nur ums Öl selbst. Zweitens geht es auch um die Macht, die vom Öl ausgeht. Venezuela hat beispielsweise in den letzten 15 Jahren ökonomisch schwachen Staaten der Region Öl zu Sonderkonditionen verkauft — mit der einzigen Maßgabe, dass die Vorteile der Bevölkerung zugute kommen, nicht Privatunternehmen. Dafür haben sich viele karibische Staaten jetzt mit Venezuela solidarisiert — und tanzen den USA auf der Nase herum.

Ein ölreiches Venezuela mit einer linken Regierung gefährdet aber auch den Zugang zu günstigen Rohstoffen in der Region, die die ganze Welt mit Öl und Gas, mit Metallen und Nahrungsmitteln versorgt.

Venezuelas Motto ist seit Hugo Chavez: die Reichtümer des Landes müssen vor allem der einfachen Bevölkerung dienen.

Das sind die 50, 60 Prozent der Bevölkerung, die in den Ländern des globalen Südens typischerweise außerhalb des Rechts stehen. Die in Slums und Favelas in illegal errichteten Wohnungen leben. Die keine sozialversicherungspflichtige Arbeit kennen, sondern als ,,Informelle von der Hand in den Mundleben.Für sie gab es in Venezuela vor Chavez nie einen Rechtsstaat - nur die Gewalt des Staates.

Die Rechte der Armen sind ein Grund für die Intervention. Wenn der Reichtum der Länder des Südens umverteilt wird, bleibt weniger für die weiße Oberschicht, und weniger für die Unternehmen des Nordens. Wenn die Staaten des Südens demokratisiert werden, ist das westliche Modell des Kapitalismus in Gefahr. Denn das basiert auf billigen Rohstoffen - und auf der Ausbeutung des Südens.

Aus dem Rechtsstaat war die arme Bevölkerung Venezuelas bis vor 20 Jahren ausgeschlossen. Um ihn geht es hier nicht. Und weder der Bundesregierung noch den USA geht es um die Demokratie in Venezuela. Denn wenn es wirklich um Demokratie ginge, dann dürfte man zuallererst eine Einmischung in den bluttriefenden absolutistischen Systemen in Saudi-Arabien, Katar, Kuwait usw. erwarten.

Die aktuelle Intervention ist kein einmaliger Vorgang. Die USA haben eine lange Tradition völkerrechtswidriger Einmischungen in Lateinamerika. In Venezuela haben sie den Putsch 2002 gegen Chavez unterstiitzt. Sie habenalles in ihrer Macht Stehende getan, um das venezolanische Wirtschaftssystem zu schwächen. Es war Präsident Obama, der 2015 per Präsidentendekret Venezuela zur Bedrohung der USA erklärte und auf dieser Grundlage das völkerrechtswidrige Sanktionsregime aufbaute. Ich zitiere wörtlich: Obama erklärte gegenüber dem US-Kongress eine ,,national emergency with respect to the unusual and extraordinary threat to the national security and foreign policy of the United States posed by the situation in Venezuela”. Die USA im Notstand wegen der außerordentlichen Gefahr für ihre Sicherheit, die von Venezuela ausgeht.

Die Sicherheit der USA wird durch Venezuela bedroht, und dem Westen geht es um Demokratie und Menschenrechte in Venezuela. Und die Erde ist eine Scheibe.

Die USA und ihre westlichen Verbündeten betreiben das, was man als euphemistisch als Regime Change bezeichnet. Einen Staatsstreich. Die USA und mit ihr die Bundesregierung versuchen das ihnen Mögliche, um einen Bürgerkrieg herbeizuführen. Denn die demokratisch legitimierte Regierung Maduro und die armere Hälfte der Bevölkerung wird nicht freiwillig aufgeben. Denn ihnen geht es um mehr als um ein paar Almosen des Westens: ihnen geht es um die Würde. Viele Venezolaner_innen aus den Favelas und vom Land sind unzufrieden mit Maduro. Aber das letzte, das sie dulden würden, ist die erneute Einsetzung eines Präsidenten durch die USA und Europa.

Die USA und Deutschland stehen hier in der neokolonialen oder imperialistischen Putsch-Tradition, die unendlich viel Leid über Lateinamerika gebracht hat. Kein Land in Lateinamerika ist davon verschont geblieben. Die USA haben unzählige Marionettenregime und Diktaturen eingesetzt oder ihnen zur Macht verholfen. Das gleiche versuchen sie jetzt mit Venezuela und Herrn Guaidó. Sie treten das Völkerrecht und das in der UN-Charta verankerte Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, sprich: die Souveranitat — mit Füßen.
Wir sagen:

Schluss damit! Herr Maas, Frau Merkel, beachten Sie das Völkerrecht! Stoppen Sie die neokolonialistische Einmischung! Hände Weg von Venezuela!
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