Leserbrief an die SZ zu deutschen Talkshows

Politmagazine - das einstige Tafelsilber der öffentlich-rechtlichen Anstalten - verkommen nach Ansicht von Medienexperten zusehends zu Verbrauchermagazinen und erreichen nach einer Studie zum Thesenjournalismus bei sämtlichen Leistungskriterien kaum mehr als 30 Prozent Zustimmung. Was ist passiert und wie lässt sich der Bedeutungsverlust aufhalten?
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Maren
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Leserbrief an die SZ zu deutschen Talkshows

Beitrag von Maren »

Sehr geehrter Herr Hummel,

zu Ihrem Artikel "Immer wieder Sonntags" einige Anmerkungen:

"Talkshows" - der Schwerpunkt liegt auf Show - mute ich mir schon lange nicht mehr zu, es wäre verschenkte Zeit. Immer die gleichen Pappnasen, immer die gleichen Sichtweisen mit meist dem gleichen Gut und Böse Schema (der Westen ist gut, Putin ist böse), meist immer ein Alibigast (wie z. B. Sahra Wagenknecht, die sich das diszipliniert antut), meist banales Gequassel unter Leitung von mehr oder weniger kompetenten Moderatoren - bei wenigen Sternstunden (Erfahrungen aus der Vergangenheit). Das ist mir zu wenig!

Einen weiteren Tiefpunkt müssen Zuschauer vergangenen Sonntag (6. September 2020) in der Sendung von Anne Will erlebt haben. Sevim Dagdelen, als Alibigast zum Thema Russland und Nawalny eingeladen, warnte, dieses "schlimme Verbrechen" (zusammengefasst), das unbedingt aufgeklärt werden müsse, ohne Belege einfach Russland in die Schuhe zu schieben, die eh angespannte Politik gegenüber diesem Land zu verschärfen. Diese Einschätzung kann man teilen oder nicht: Doch wie reagiert Wolfgang Ischinger, der seit Jahren mit Steuermitteln die sog. "Münchener Sicherheitskonferenz" organisieren darf: Er stellte die Linken-Politikerin in die Verschwörungsecke!!!
„Was mich maßlos ärgert, ist Ihr Versuch, hier Verwirrspiele zu spielen. Es ist empörend, dass Sie unsäglichen Verschwörungstheorien Vorschub leisten.“
Kein Witz. Eine andere Meinung oder Einschätzung ist gleich eine Verschwörung, so weit sind wir schon gekommen. Sevim Dadgelen wird in eine Ecke gestellt und mit diesem Begriff argumentativ entsorgt, erledigt. Zumal Moderatorin Anne Will offenbar nicht reagierte oder widersprach, was hier angemessen gewesen wäre. Dafür plapperten bundesweit unzählige Medien dem früheren Botschafter nach, stellten die Linken-Politikerin in die Verschwörungsecke, bezeichneten sie gar als "Kreml-Sprecherin". Ein Armutszeugnis für die deutsche Presselandschaft.

Ich empfehle dazu die Lektüre der Ausführungen von Sevim Dagdelen, die Reaktion von Ischinger und diverse Zeitungsartikel - dazu nach unten scrollen.

An Einseitigkeit nicht zu überbieten sind aktuell wieder die Nachrichtensendungen von ARD, ZDF und Co. zu Russland (Nawalny) oder zu Weißrussland. Immer das gleiche Gut-Böse-Schema, über Hintergründe (z. B. die finanzielle Unterstützung von Nawlany durch den Westen, das vom Westen angestrebte und finanziell unterstützte Regime-Chanche in Weißrussland) erfährt man nichts. Das würde das einseitige Weltbild der Nachrichtensendungen erschüttern. Das Fatale ist: Die Nachrichtensendungen tragen massiv zur öffentlichen Meinungsbildung bei.

Die Einhaltung von Menschenrechten, die in anderen Ländern nicht eingefordert werden (Krieg im Jemen, Saudi-Arabien ect.), werden politisch instrumentalisiert.

https://publikumskonferenz.de/blog/2020 ... enkverbot/

Die einseitige Berichterstattung vom Maidan 2013/2014 - vom ARD-Programmbeirat ausführlich untersucht und in einem Bericht scharf kritisiert - lässt grüßen. Ich erlaube mir, diese Mail einem etwas erweiterten Empfängerkreis zukommen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen

xxxxxxxxx*

* Der Name des Einsenders ist uns und dem SZ-Autor bekannt.


Anlagen

Sevim Dagdelen in der Sendung „Anne Will“ am 6.9.2020

„Im Gegensatz zu Herrn Röttgen war ich bei der Tat nicht da und kenne den Täter nicht. Wir haben als Parlamentarier eine Unterrichtung der Bundesregierung gehabt am vergangenen Mittwoch, kurzfristig anberaumt um 15.30 Uhr. Und in dieser Unterrichtung wurde gesagt, dass Alexej [nicht Alexander] Nawalny vergiftet worden ist mit einem Gift der Nowitschok-Gruppe. Mehr wissen wir nicht. Und in diesem Moment können wir auch nicht mehr wissen. Wir können nicht sagen, nur weil es ein Gift der Nowitschok-Gruppe ist, dass es sofort nur die Russen sind. Wir wissen aus Recherchen von Süddeutsche Zeitung und NDR und vielen anderen, dass aus den 90er Jahren eine Probe in die Hände des Bundesnachrichtendienstes gelangt ist, und damit auch an westliche Geheimdienste. Und dass das BMVg, das Bundesministerium für Verteidigung, und der BND sogar die Formel bekommen haben aus dem Labor in Schweden, wo damals diese Probe untersucht worden ist. Das heißt, mindestens Russland, oder sagen wir mal, die Nachfolgerepubliken der Sowjetunion könnten es im Besitz haben, aber auch westliche Geheimdienste. Und insofern halte ich es für hochgradig spekulativ, zu behaupten, X oder Y ist der Täter oder sonst was. Wir wissen nichts über die Herkunft und wir wissen nichts über die Täterschaft. Und ich finde, jetzt sofort nach Täter zu rufen, also gleichzeitig der Ankläger zu sein, der Richter und der Henker zu sein, und nach Maßnahmen zu rufen, das halte ich für unseriös und mehr als fragwürdig. Ich bin dafür, dass wir auf Aufklärung dringen. Das muss gemacht werden. Und ich finde es befremdlich, vor einer Aufklärung gleich nach Maßnahmen zu rufen. Das halte ich nicht für richtig in der internationalen Politik, aber auch nicht in den Beziehungen zu Russland im Moment. Also entweder haben wir Interesse an einer Kooperation zwecks Aufklärung dieses Verbrechens, was ganz schlimm ist – und ich wünsche Herrn Nawalny hier auch wirklich gute Besserung; man weiß ja nicht, ob er Langzeitschäden haben wird oder welche das sein werden. Das ist wirklich etwas ganz Schreckliches. Aber, ich finde, es nicht in Ordnung zu sagen, wir wissen schon, wer das war, wie das stattgefunden hat. Mir liegen keine Informationen vor, auch nicht nachrichtendienstliche Erkenntnisse, darüberhinausgehende, also, sagen wir mal von der Unterrichtung der Bundesregierung. Insofern bin ich schon ziemlich erstaunt, wie schnell diese Spirale gedreht worden ist, dass man sofort weiß, wer das war, wer schuldig ist und wer die Tat quasi höchstpersönlich begangen hat. Also, ich bin da mehr als skeptisch.“


Wolfang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und Vorstandsmitglied der Atlantikbrücke konterte daraufhin:

„Was mich maßlos ärgert, ist Ihr Versuch, hier Verwirrspiele zu spielen. Es ist empörend, dass Sie unsäglichen Verschwörungstheorien Vorschub leisten.“

Hier einige Beispiele - darunter auch Zitate aus sog. "Qualitätsmedien" wie der SZ und der FAZ, hinter letzterem Blatt soll bekanntlich immer ein kluger Kopf stecken:

Bild.de
CDU-GENERAL PAUL ZIEMIAK: „Linkspartei ist Lobby-Gruppe des Kreml“


(…) Russische Regierungssprecher hatten die haltlose Unterstellung verbreitet, dass Nawalny in Deutschland vergiftet wurde, da im Krankenhaus in Omsk angeblich kein Giftstoff im Blut des Kreml-Kritikers nachgewiesen wurde. Im Politik-Talk bei „Anne Will“ verbreitete sogar die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen (45) die Kreml-Theorie weiter: Auch westliche Geheimdienste könnten im Besitz des Nowitschok-Geheimdiensts sein, das die Bundeswehr in Nawalnys Körper nachgewiesen hatte. (…)
CDU-General Paul Ziemiak zeigte sich fassungslos, dass Politiker der Linkspartei derartige Verschwörungstheorien aufgriffen: „Der Kreml hat eine Lobbyorganisation in Deutschland: die Linkspartei.“ Die Partei verbreite „Verschwörungstheorien aus dem Kreml“ weiter.


FR
Anne Will: Linken-Politikerin verteidigt den Kreml und löst „Entsetzen“ in der ARD aus


FAZ.de
Den Rest der Welt für dumm verkaufen


(…) Verschwörungstheorien stellen sich die Welt vor wie in einem James Bond-Film. Ein Kartell von Bösewichten bedroht die Welt, die am Ende von einem Helden gerettet wird, der immer aussieht wie Sean Connery. Solche Verschwörungstheorien ersetzen das analytische Denken. Trotzdem gibt es weiterhin Verschwörungen – wie die gegen Nawalnyj .
Hier trafen bei Anne Will zwei konträre Sichtweisen aufeinander, wobei Frau Dağdelen ihre gegen die aller anderen Gäste vertrat. Ihre Position beruhte auf einer Sichtweise des bewussten Nicht-Wissens. Sie weigerte sich, diesen Mordanschlag auf russischem Hoheitsgebiet an einem russischen Staatsbürger mit dem Handeln der Regierung in Moskau in Verbindung zu bringen. So war es auch nur zu erklären, warum sie andere Verantwortliche für den Mordanschlag nicht ausschließen wollte. Zudem plädierte sie für eine an den Rechtsstaat orientierte Kooperation deutscher und russischer Strafverfolgungsbehörden. Das hört sich bekanntlich immer gut an. (…)
An diesem Punkt hätte die Debatte interessant werden können. Stellt sich doch die Frage, auf welcher Grundlage die deutsch-russischen Beziehungen definiert werden sollen. Wenn Frau Dağdelen auf Zusammenarbeit mit russischen Behörden setzte, um diesen Mordversuch aufzuklären, wirkte das wie ein schlechter Witz. Tatsächlich ist diese Straftat in Russland passiert, das Opfer ein eigener Staatsbürger. Russland selbst müsste ein Interesse an der Aufklärung haben, wenn es denn Hinweise auf die Beteiligung ausländischer Mächte an dieser Verschwörung geben sollte. Warum sich somit die linke Außenpolitikerin den Kopf der russischen Regierung zerbricht, war nicht nachvollziehbar. (…)
Verschwörungstheorien helfen allerdings nicht dabei, Verschwörungen aufzudecken. Ansonsten könnten uns die Russen bestimmt erklären, warum ein Oppositioneller mit einem Nervengift vergiftet wird. Und wie sie es vorher geplant haben wollen, dass dieser nicht sofort stirbt, sondern vielmehr ihre Visitenkarte namens Nowitschok anschließend sogar in einem deutschen Bundeswehr-Labor gefunden wird. Laut Röttgen war es schließlich das Ziel dieses Mordes, die russische Bevölkerung mit diesem Nervengift aus dem Arsenal chemischer Kriegführung gezielt einzuschüchtern. Ein erstaunlicher Plan, wenn es denn so gewesen sein sollte. Trittin meinte kritisch an die Adresse von Frau Dağdelen, sie solle sich nicht dümmer stellen als sie sei.
Verschwörungstheoretiker haben allerdings ein anderes Problem: Sie halten Geheimdienste für klüger als sie sind. In Moskau bemüht man sich gerade, diesen Eindruck zu widerlegen. Ansonsten würden sie ja nicht versuchen, den Rest der Welt für dumm zu verkaufen.


Express
Fall Nawalny bei „Anne Will” Theorie von Linke-Politikerin sorgt für Entsetzen


RND
Die Linke und Russland: Sevim Dagdelen steht für sich und doch nicht allein


„Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linke) hat nahegelegt, dass ja auch der Bundesnachrichtendienst den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny vergiftet haben könnte. Sie hat zwar in den eigenen Reihen keinen großen Rückhalt. Aber Nähe zu Russland ist in der Linken weit verbreitet.“

Fuldaer Zeitung
Anne Will: Linken-Politikerin stellt Mutmaßungen im Fall Nawalny an und entsetzt damit die Runde


(…) Das wollte Dagdelen nicht so stehen lassen. „Im Gegensatz zu Herrn Röttgen war ich nicht bei der Tat dabei und kenne den Täter nicht“, äußerte die Linken-Abgeordnete auf Nachfrage von ARD-Moderatorin Anne Will* schnippisch. Dagdelen wollte Russland nicht vorschnell verurteilen und brachte mögliche andere Täter ins Spiel. „Wir wissen nichts über die Herkunft des Nowitschok. Auch westliche Geheimdienste könnten das haben. Wir wissen nichts über die Täter“, analysierte sie: „Solange man keine Beweise hat, soll man nicht spekulieren!“
Trittin konterte Dagdelens Ausführungen unbeeindruckt. „Man soll sich nicht dümmer stellen als man ist“, antwortete der frühere Bundesumweltminister. Auch Außenexperte Ischinger kritisierte Dagedelens These scharf. „Ich finde es empörend, wie Sie hier Verschwörungstheorien Vorschub leisten“, warf er der Linken-Politikerin vor.


RTL.de
Bei Anne Will flogen die Fetzen. Nawalny-Talk bei Anne Will: Linken-Politikerin geht auf Konfrontation


Dagdelen forderte, jetzt bitte nicht zu hart mit Russland ins Gericht zu gehen. Man solle doch erstmal die Untersuchung des Vorfalls abwarten, sagte sie. Doch damit wirkte sie bestenfalls naiv. Zumindest wenn auch nur die Hälfte dessen stimmt, was Putin an Ruchlosigkeit nachgesagt wird. Doch dabei beließ sie es nicht – sie deutete an, dass gar westliche Geheimdienste für die Vergiftung infrage kämen, weil diese Berichten zufolge ebenfalls über die Nowitschok-Formel verfügten. Damit reizte sie den Diplomaten Ischinger zum Äußersten: “Ich finde es empörend, wie Sie hier Verschwörungstheorien befördern”, sagte er mit leicht erhobener Stimme.

ntv.de
“Sich nicht dümmer machen, als man ist”

(Text identisch und vom selben Autor wie bei RTL.de)

Stern.de
Westliche Geheimdienste als Täter? Linken-Politikerin nimmt Moskau im Fall Nawalny in Schutz


Sevim Dağdelen möchte sich dagegen zunächst mal nach alternativen Tatverdächtigen umsehen. Für sie sei, so erklärte sie, gar nicht klar, ob der Nervenkampfstoff überhaupt aus Russland stamme. Sie schuf bei Will alternative Szenarien, nach denen ja auch die westlichen Geheimdienste oder andere Ex-Sowjetstaaten den Anschlag auf Nawalny verübt haben könnten. Immerhin hatte auch der deutsche BND mal eine Probe vom Nowitschok-Nervengift erhalten. (…)Natürlich ist eine eher russlandfreundlich gestimmte Linke daran interessiert, andere Tatverdächtige zu präsentieren und selbstverständlich ist noch vieles ungeklärt. Aber es hat bei “Anne Will” auch niemand behauptet, dass Putin selbst den Befehl gab, Nawalny zu vergiften.

Ostthüringer Zeitung
Anne Will: Anschlag auf Nawalny – Linke mit kruden Theorien


Es war ein bemerkenswerter Auftritt, den Dağdelen bei Anne Will hinlegte. Einer, der abermals Zweifel an der außenpolitischen Berechenbarkeit der Linken aufkommen ließ. Dağdelen deutete um, mutmaßte und wirkte dabei stellenweise wie die Pressesprecherin des Kremls – etwa, als sie immer wieder vor Spekulationen warnte. Um im nächsten Atemzug selbst in Richtung BND zu zeigen.

Watson
Empörend” – Linken-Politikerin Dağdelen sorgt bei “Anne Will” für Wut


Nach so viel Einigkeit mischt Sevim Dağdelen (Die Linke) die Runde kräftig auf. Sie sei bei dem Anschlag nicht dabei gewesen – wohl im Gegensatz zu Röttgen – und kenne den Täter noch nicht, stichelt sie ironisch. Sie wehrt sich daher gegen eine Vorverurteilung oder gar den Ruf nach Sanktionen vor einer Aufklärung der Vorgänge. Eine Probe des Nervenkampfstoffs Nowitschok sei über den BND schon vor Jahren nach Europa gelangt und stehe seitdem also auch anderen Geheimdiensten zur Verfügung.
Vorwurf Verschwörungstheorien
Für ihre Ausführungen erntet Sevim Dağdelen viel Gegenwind bei den anwesenden Herren. Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, findet ihre Aussagen “empörend” und unterstellt ihr, “Verschwörungstheorien“ nachzuhängen. Und Jürgen Trittin poltert, man solle sich doch bitte “nicht dümmer stellen, als man ist”.
Aber Dağdelen sagt dazu, man müsse “rechtsstaatliche Prinzipien” anwenden und erst aufzuklären und dann verurteilen. Erfahrung damit kann sie aus den Ermittlungen zum Mord an einem Georgier im Berliner Tiergarten 2019 jedenfalls aufweisen. Sie betont, sie sei doch diejenige gewesen, die in diesem Fall “am meisten für die Aufklärung getan” habe. Und auch nun sei sie einfach “auf der Suche nach der Wahrheit”.


Der Westen
Anne Will (ARD): Zuschauer entsetzt, als Linken-Politikerin wilde Verschwörungstheorie äußert


Es fallen steile Thesen und gegenseitigen Verschwörungstheorie-Vorwürfe. Im Mittelpunkt steht dabei die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen, die Sprecherin ihrer Fraktion für internationale Beziehungen ist.
Einzig Linken-Politikerin Sevim Dağdelen äußert erhebliche Zweifel und verdächtig indirekt auch den deutschen Bundesnachrichtendienst, möglicherweise den Putin-Kritiker vergiftet zu haben: „Wir können nicht sagen, weil es ein Gift der Nowitschok-Gruppe ist, dass es sofort nur die Russen sind. Wir wissen aus Recherchen von Süddeutscher Zeitung und NDR und vielen anderen, dass in den 1990er-Jahren eine Probe in die Hände des Bundesnachrichtendienstes gelangt ist und damit auch an westliche Geheimdienste. Und dass das BMVG, das Bundesministerium für Verteidigung, und der BND sogar die Formel bekommen haben aus dem Labor in Schweden, wo damals diese Probe untersucht worden ist.“
Dağdelen zeigt sich erstaunt darüber, wie schnell die Spirale gedreht wurde und die Täterschaft Russlands für viele erwiesen sei. Jürgen Trittin reagiert darauf patzig. Man müsse sich nicht dümmer stellen als man sei. Wo solle Nawalny denn sonst vergiftet worden sein, wenn nicht auf dem Flug über Sibirien. Es gehe um die politische Verantwortung der russischen Regierung, nicht um die Frage, ob Putin selbst den Anschlag angeordnet habe, antworten Röttgen und Trittin.
Anne Will (ARD): Zuschauer entsetzt über Verschwörungstheorie von Linken-Politikerin Dağdelen


Auch im Netz gibt es zahlreiche empörte Reaktionen auf Dağdelens Andeutung, dass westliche Geheimdienste möglicherweise Nawalny vergiftet haben:

- „Dağdelen: ich möchte mich nicht an Spekulationen beteiligen. Auch Dağdelen: der BND könnte auch…“
- „Wusste gar nicht, dass Sevim Dağdelen im Nebenberuf Kreml-Sprecherin ist.“
- „Anne Will einschalten und sehen, wie Außenpolitik mit Die Linke in R2G aussehen würde: Schulterschluss mit Diktator Putin, wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland und Verschwörungstheorien über den BND.“
- „Man hätte auch statt einer Vertreterin von Die Linke gleich eine Kreml-Sprecherin reinsetzen können.“
- „Entsetzlicher Auftritt von Sevim Dağdelen Anne Will, die ernsthaft suggeriert, dass Nawalny durch deutsche Behörden (!) vergiftet worden sein könnte. Die Linke (ehemals SED) ist nach wie vor das Sprachrohr der russischen Propaganda.“

Berliner Morgenpost
Anne Will: Anschlag auf Nawalny – Linke mit kruden Theorien


Wer steckt hinter dem Giftanschlag auf Alexej Nawalny in Russland? Bei Anne Will herrschte am Sonntag Einigkeit – mit einer Ausnahme.
Erst im letzten Jahr wurde ein Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin ermordet. Auch hier führen die Verdachtsspuren nach Moskau. Jetzt also Alexej Nawalny. Oder war es doch anders?
Linke: Politikerin Dağdelen warnt vor Spekulationen zu Nawalny
Das zumindest kann sich die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen vorstellen. „Ich war nicht dabei und kenne den Täter nicht“, sagte sie bei Anne Will. In den 90er Jahren habe auch der BND eine Probe des Gifts in die Hände bekommen. Und damit westliche Geheimdienste. Womöglich also, so die unausgesprochene Vermutung, sitzen die Täter nicht in Moskau – sondern im Westen.
Ein Motiv? Eine in sich schlüssige politische Erzählung? Das bot Sevim Dağdelen nicht. Stattdessen: Andeutungen. „Man soll sich nicht dümmer stellen, als man ist“, kommentierte Grünen-Mann Trittin bissig.
Es war ein bemerkenswerter Auftritt, den Dağdelen bei Anne Will hinlegte. Einer, der abermals Zweifel an der außenpolitischen Berechenbarkeit der Linken aufkommen ließ. Dağdelen deutete um, mutmaßte und wirkte dabei stellenweise wie die Pressesprecherin des Kremls – etwa, als sie immer wieder vor Spekulationen warnte. Um im nächsten Atemzug selbst in Richtung BND zu zeigen. „Es ist empörend, dass Sie Tatsachen in Frage stellen und Verschwörungstheorien Vorschub leisten“, schimpfte Wolfgang Ischinger. Dağdelen konterte: Sie sei auf der Suche nach der Wahrheit. Ein großes Wort.


Süddeutsche Zeitung
“Man darf sich auch nicht dümmer stellen als man ist”


Linken-Politikerin Dağdelen spekuliert bei “Anne Will”, ob nicht auch ein anderer Geheimdienst als ein russischer für den Giftanschlag auf Kreml-Kritiker Nawalny verantwortlich sein könnte. Die Reaktion ihrer Mitdiskutanten fällt harsch aus.
Wolfgang Ischinger ist ein außergewöhnlich erfahrener Diplomat, der gelernt hat, sich nicht so leicht zu öffentlicher Entrüstung treiben zu lassen. Am Sonntagabend im ARD-Fernsehstudio aber war er machtlos. Sevim Dağdelen, die für die Partei Die Linke Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags ist, sorgte bei “Anne Will” für einen ungewöhnlichen Moment: Sie schaffte es, dass Ischinger sich aufregte.
“Was mich maßlos ärgert, ist der Versuch von Ihnen, Verwirrspiele zu spielen”, sagte er. Und warf der Linken-Politikerin vor, im Fall Nawalny “Verschwörungstheorien Vorschub zu leisten”. Ihre Unterstellungen seien “empörend”, denn niemand in der Talkrunde habe “behauptet zu wissen, wer es war”. Wer es war – das ist die Frage, auf die man im politischen Berlin gern dringend eine Antwort hätte: wer nämlich mit einem chemischen Kampfstoff den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny so stark vergiftet hat, dass er in der Berliner Charité im Koma liegt.
Niemand hatte natürlich bei “Anne Will” auf diese Frage eine konkrete Antwort, auch Norbert Röttgen nicht, der sagte: “Es ist jedenfalls das System.” Er meinte grundsätzlich das System Russlands von Präsident Wladimir Putin. Damit lieferte der CDU-Politiker die wohl wahrscheinlichste Erklärung – nur Dağdelen war nicht recht überzeugt. Sie hielt es als Einzige für völlig offen, ob nicht vielleicht ein anderer Geheimdienst als ein russischer bei Nawalnys Vergiftung seine Finger im Spiel gehabt haben könnte.
Wie sich das abgespielt haben sollte in Sibirien, während Nawalny dort von den russischen Sicherheitsbehörden beschattet wurde, hätte Anne Will ihren Gast durchaus fragen können. Das tat dann immerhin der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, der an Dağdelen gerichtet sagte: “Man darf sich auch nicht dümmer stellen als man ist.” Abgesehen von der Linken-Politikerin waren sich die Gäste weitgehend einig darin, dass die Debatte über eine mögliche scharfe Antwort an Russland auch deshalb so vehement geführt wird, weil es nicht nur den Fall Nawalny gibt.
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