Weil heute Sonntag ist, möchten wir in der Presseschau auf
ein Interview aufmerksam machen, das der russische Präsident Wladimir Putin der
italienischen Corriere della Sera gab.
Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben sich dankenswerterweise und
im Gegensatz zu Medien mit explizitem Auftrag, dieser interessanten Geschichte neutral und ohne unterschwellige Töne angenommen.
Kleine Zusammenfassung für Klickfaule:
Putin erläutert in dem Interview sehr schlüssig, dass Russland nichts gegen die Assoziierung der Ukraine mit der EU habe. Er könne jedoch nicht verstehen, warum man über die weitere Zusammenarbeit nicht mit Russland gesprochen hat. Putin sagte, die EU habe sich gegen Präsident Janukowitsch gewandt, als dieser vor der Unterzeichnung des Freihandels-Abkommens mit der EU kurz gezögert habe und gesagt habe, er müsse darüber noch einmal nachdenken. Statt ihm diese Zeit zu gewähren und das Gespräch mit Russland zu suchen, kamen der Putsch und ein nun schon ein Jahr währender Krieg mit hunderten Toten und dem zerstörten Donbass. Das EU-Abkommen ist noch immer nicht unterschrieben, es soll frühestens 2016 so weit sein.
Putin stellt die sehr berechtigte Frage, ob man für diesen unbefriedigenden Zustand wirklich einen Krieg gebraucht habe oder ob man sich nicht besser mit den Partnern verständigt hätte, wie die Ukraine mit der EU und mit Russland zusammenarbeiten könnte.
Putin verweist auf die Tatsache, dass die Ukraine Mitglied der CIS-Freihandelszone gewesen sei und als solche Verpflichtungen gegenüber Russland zu erfüllen gehabt habe. Russland habe nichts gegen den Freihandel der EU mit der Ukraine, hätte jedoch in der finalen Phase der Verhandlungen einbezogen werden müssen. Denn Russland hat enge wirtschaftliche Beziehungen mit der Ukraine, während die wirtschaftlichen Beziehungen zu EU eher überschaubar seien.
Putin sagte, dass die Exporte der Ukraine in die EU nicht gestiegen seien, obwohl alle Zollgrenzen aufgehoben wurden. Der Grund: Die EU brauche die Produkte der Ukraine nicht, weshalb es kein wirtschaftlicher Vorteil für die Ukraine sei, ihre Geschäftsbeziehungen zu Russland zu kappen. Es werde die Ukraine Milliarden kosten, ihre Wirtschaft neu auszurichten. Und diese Milliarden werden nun von der EU kommen müssen.
Putin trifft die EU hier an ihrer empfindlichsten Stelle. Denn eine Untersuchung der vom Kanzleramt finanzierten Beratergruppe für die Ukraine zeigt, dass der Donbass nach den Zerstörungen durch den Krieg für die EU wertlos geworden ist. Das ganze Ukraine-Abenteuer ist also für Deutschland und die EU zu einem Bumerang geworden: Statt neuer Märkte sehen sich die EU-Politiker einem neuen, gewaltigen Fass ohne Boden gegenüber.
Putin skizziert in dem Interview, dass Russland versucht habe, eine ehrliche Partnerschaft mit der EU aufzubauen. Doch die EU sei nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht gewesen. So könne man jedoch keine langfristige Partnerschaft aufbauen.
Aus dem Interview wird unmissverständlich klar, dass die Russen das Vertrauen in die EU-Politiker verloren haben. Sie werden versuchen, es bilateral zu erneuern: Putins Signale an die italienischen Leser sind positiv, er streicht heraus, dass Italien und Russland gute Handelspartner seien und bleiben wollen.
Nicht ohne Witz kontert Putin auch auf die Frage, ob Russland denn wirklich eine Demokratie sei, wenn etwa Oppositionspolitiker im russischen Staatsfernsehen so gut wie nicht zu Wort kämen. Ohne Berlusconi beim Namen zu nennen, sagt Putin, dass ja auch die Italiener so ihre Erfahrungen gemacht hätten mit dem Phänomen, dass die Regierung die Medien zu ihren Zwecken einsetze.
Man kann davon ausgehen, dass Russland in den kommenden Monaten die bilateralen Beziehungen zu einzelnen EU-Staaten intensivieren wird. Damit aber wird die EU von innen ausgehöhlt: Die Regierungen der Mitgliedsstaaten werden sich nicht mehr länger von Deutschland, Brüssel und den USA vorschreiben lassen, welche Geschäfte sie mit Russland machen dürfen. Es geht längst an die Substanz für viele Staaten, die ihre Exporte nach Russland nicht auf anderen Absatzmärkten kompensieren können. Putin weiß, dass der Zorn in vielen EU-Staaten über die Zerstörung des guten Verhältnisses zu Russland wächst. Er lässt keinen Zweifel, dass er lieber direkt mit einzelnen Staaten spricht als mit einer unberechenbaren Truppe in Brüssel.
Das Ukraine-Abenteuer gefährdet die EU, weil sich viele fragen, wozu man eine Gemeinschaft braucht, die dem einzelnen schadet und ihn dann zwingt, für diesen Schaden aufkommen zu müssen. Schon jetzt ist die EU kaum in der Lage, in kritischen Fragen geschlossen zu agieren. Wenn sie nur noch als Last empfunden wird, könnten ihre Tage gezählt sein. Mit der Ukraine könnte die EU überzogen haben. Sie ist als Wirtschaftsgemeinschaft willkommen, von der alle profitieren. Als ideologische Schicksalsgemeinschaft dagegen hat sie keine Chance. Der Zerfall wäre die logische Folge. Er könnte schneller kommen, als die Ideologen denken.
http://www.corriere.it/esteri/15_giugno ... a029.shtml