Maren hat geschrieben:Tag der Pressefreiheit
Schelte contra Freiheit - Irgendetwas läuft falsch in der Beziehung zwischen Journalisten und ihrem Publikum.
Wie viel Medienschelte verträgt die Pressefreiheit?
am Mittwoch, 29. April 2015 um 18.30 Uhr
in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt
Luisenstraße 18, 10117 Berlin
Die Symptome sind unverkennbar: Grassierendes Misstrauen etwa in die Ukraine-Berichterstattung, „Shitstorms“ in den Diskussionsforen von Qualitätsmedien, Manipulationsvorwürfe bis hin zur vergifteten Parole von der „Lügenpresse". Doch was sind die Ursachen für diese Phänomene? Wie lässt sich ihnen begegnen? Wann schlägt Kritik an medialer Deutungsmacht in eine Gefahr für die Pressefreiheit um?
Im Vorfeld des Internationalen Tags der Pressefreiheit (3. Mai) laden Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Deutsche Journalistinnen- und Journalisten Union (dju), Deutscher Journalisten-Verband (DJV), Reporter ohne Grenzen (ROG) und Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) zur Diskussion über ein Thema ein, das seit Monaten für Diskussionsstoff bei Medienmachern sorgt:
Über diese und weitere Fragen diskutieren u.a.:
- Alice Bota, Redakteurin „Die Zeit“, Hamburg
- Stefan Niggemeier, freier Medienjournalist, Berlin
- Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler, Universität Tübingen
- Andrea Röpke, Politologin und freie Journalistin, Expertin für Rechtsextremismus
Moderation: Dagmar Engel, Chefredakteurin DW-Hauptstadtbüro
Anmeldung per Email an djv@djv.de
Ich habe an der Veranstaltung teilgenommen und im Grunde nichts Neues über den "Konflikt" erfahren. Außer vielleicht, dass die Deutsche Welle auf jede "halbwegs vernünftig formulierte Programmbeschwerde" antwortet. Schaun wir mal, wie lange sich das noch hinzieht.

Vor und nach der Veranstaltung hatte ich ein paar freundliche Gespräche mit Stefan Niggemeier, Herrn Bolz von Panorama und Prof. Pörksen. Ich warte noch auf eine offizielle Zusammenfassung der Veranstaltung, da ich irgendwie nicht mit dem Schreiben hinterherkam. Vorab ein Beitrag von Meedia.
Der Medienwissenschaftler Prof. Bernhard Pörksen beschrieb auf der Veranstaltung am Mittwochabend eine „handfeste Beziehungskrise zwischen Journalisten und Publikum“ durch wechselseitige Kränkungen. Hier stünden sich massenmediale Mediendemokratie und digitale Empörungsdemokratie gegenüber.
Er machte 4 Thesen aus, mit denen wir es heute innerhalb der Medienkritik zu tun haben:
1.) Die gespaltene Öffentlichkeit wird zum Normalfall. (zu Guttenberg, Wulff, Sarrazin, Grass-Gedicht etc.)
2.) Es herrscht eine gewisse Medienverdrossenheit wegen Vorfällen wie falschen Symbolfotos, Boulevardisierung von Nachrichten etc. - Folge sind "Empörungsjunkies", Beschwerden, ideologischer Radikalisierung, Verschwörungstheorien etc.
3.) Das Publikum als 5. Gewalt. Selbstermächtigung des Publikums, das Agenda-Setting wird verändert, Plattformen für Enthüllungsrecherchen, Mobbingspektakel etc.
4.) Beziehung Publikum-Journalismus muss sich ändern. Publikumsverdrossenheit ist nicht wünschenswert. Redaktionelle Gesellschaft: Was ist glaubwürdige, relevante, sendungswürdige Information?
Ich habe gegoogelt, ob ich die 4 Thesen im Netz in ausführlicher Form finde und habe dieses Video aus 2012 gefunden, die dem Impulsvortrag des Professors ziemlich nahe kommt.
"Um die Beziehung zwischen Publikum und Journalisten zu verändern, brauche es eine kritische Partnerschaft, eine gesellschaftliche Solidarität, ein Klima der wechselseitigen Ermutigung. Journalisten müssten ihre Arbeit erklären und Fehler benennen, forderte Pörksen. Ein richtig guter Journalist sei aber kein Sympath. Er warf den ständig jammernden Journalisten vor, sie lebten an einer „Klagemauer. Der deutsche Journalismus braucht eine Verhaltenstherapie“.
Da ich bereits Kontakt zu Prof. Pörksen hatte und ihm für eine Recherche über die Motivation von Medienkritikern zur Verfügung stand, habe ich mir getraut, eine kritische Mail in seine Richtung abzusetzen und hatte innerhalb kurzer Zeit eine Antwort im Kasten.

Sehr geehrter Herr Prof. Pörksen,
ich habe während der Nachbereitung der jüngsten Veranstaltung zum Thema "Medienschelte" einige weiterführende Informationen zu ähnlich gelagerten Veranstaltungen gefunden, bei denen Sie auch als Podiumsgast zugegen waren. Interessant fand ich diese Kritik, die sich zu 90 % mit meinen Beobachtungen und Empfindungen deckt.
Aufschlussreich sind auch die Kommentare unter diesem Videomitschnitt.
Meine bescheidene Meinung und auch die zahlreicher MitstreiterInnen ist, dass Etikettierungen und Schubladendenken (ihre 4 Thesen) sowie die inflationäre und oft unpassende Nutzung von Kampfbegriffen wie Verschwörungstheoretiker, Wutbürger, Shitstorms u. ä. die "Lager" nicht befrieden, sondern den Konflikt weiter anheizen. Der permanente und wahrheitswidrige Versuch seitens der "Kritiker der Kritiker" aus Medien, Wissenschaft und Politik, die vorherrschende Medienkritik zu einem obskuren Bündel zu schnüren, offenbart das Ausmaß der Kritikunfähigkeit der Zunft.
Bereits der Kampfbegriff "Lügenpresse" wurde manipulativ von einem erlesenen Kreis Involvierter zum "Unwort des Jahres" erkoren, um im Anschluss daran vermeintlich kausale Zusammenhänge zu konstruieren, die den Bogen von simpler Medienkritik, über Gewalt gegen Journalisten bis hin zum Terroranschlag schlagen. Diese ganze Diskussion, die innerhalb der letzten Monate - zumeist unter Ausschluss der Kritiker - stattfand, basiert damit klar auf einer Manipulation. Das ist fatal.
"Für das Jahr 2014 wurden 733 verschiedene Wörter eingeschickt. Die Jury erhielt insgesamt 1246 Einsendungen. Die häufigsten Einsendungen ( je über 10 Einsendungen), die den Kriterien der Jury entsprechen, waren Putin-Versteher / Russland-Versteher (zusammen 60-mal), PEGIDA / Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes (44-mal), Social Freezing (29-mal), tierische Veredelung / Veredelungsindustrie/ Veredelungswirtschaft (in allen Varianten zusammen 25-mal) und Gutmensch / Gutmenschentum (zusammen15-mal)." Der Ausdruck "Lügenpresse" wurde dagegen nur 7-mal eingesendet.
Ich erinnere mich an den regen Schriftwechsel mit MitzeichnerInnen der Lanz-Petition, unter denen u. a. ProfessorInnen, BeamtInnen, KünstlerInnen und selbst MitarbeiterInnen öffentlich-rechtlicher Anstalten waren.
Der Umgang der Medien mit den MitzeichnerInnen, insbesondere die abenteuerlichen Deutungen der Motive, der Zweifel an der Echtheit der Profile, die Beschimpfung der MitzeichnerInnen als Trolle, digitale Wutbürger und ähnlich geistloser Wortkreationen gaben die Initialzündung für den Entschluss: "Jetzt erst recht!" Die Mobber waren damals Lanz und Jörges - die Antwort auf diese (journalistische) Fehlleistung war kein Shitstorm, sondern ein gebündelter und legitimer Publikumsprotest.
Es kann als zutiefst undemokratisch angesehen werden, wenn KritikerInnen durch Etikettierung und sonstig wirren Zuschreibungen indirekt Denkverbote und die sprichwörtliche Schere im Kopf verabreicht werden.
Wer will schon dazu gehören zu den "digitalen Wutbürgern", den "Empörungsjunkies", den Trollen, der "Jauchegrube Verschwörungstheorie" und gemeinsam mit PEGIDA-Schreihälsen in o. g. Bündel landen?
Wenn sich Rezipienten in die Anonymität flüchten, sich bspw. auf Facebook nicht mehr trauen ein like zu setzen oder einen kritischen Kommentar zu hinterlassen, wenn abweichende Meinungen vor dem Diktat des Mainstream kapitulieren - dann ist das Ende der Meinungsfreiheit eingeläutet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies in ihrem Interesse ist.
Ihre Omnipräsenz bei öffentlichen Veranstaltungen und in Sendungen des Rundfunks zum Thema mutet kampagnenartig an - schon aus dem Grund, weil Sie zumeist die KritikerInnen abwerten und zum Untersuchungsobjekt degradieren, anstatt die Ursachen für die Medienkritik und -verdrossenheit aus deren Sicht zu analysieren. Sie sind als Wissenschaftler geladen und nicht als der Anwalt der Medien. Etwas mehr Unparteilichkeit und Neutralität täte dem Konflikt gut.
Die Unsitte KritikerInnen und alternativen Medienschaffenden durch die Blume eine gewisse intellektuelle Schlichtheit zu unterstellen, greift bei weitem zu kurz und wird sich in der Folgezeit massiv rächen.
Wie Herr Niggemeier folgerichtig feststellte: "Das geht nicht wieder weg."
Mit freundlichen Grüßen
Maren Müller
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Prof. Pörksen antwortet, dass er glaube, dass die fünfte Gewalt sehr viele positive Effekte habe und dass man vor Publikumsverdrossenheit genauso warnen müsse wie vor pauschaler Medienverdrossenheit. Die Welt der Medienkritiker sei sehr vielgestaltig - es gäbe eigentlich alles und alles gleichzeitig, auch Fanatiker und Verschwörungstheoretiker, die zu kritisieren seien. Und es gäbe die wunderbaren Initiatoren zentraler medienkritische Debatten.
Er müsse diesen Pluralismus deutlicher machen, sonst werde man ungerecht und würde denen, die sich so positiv engagieren, Unrecht tun.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.