SPD-Positionen unsachlich verniedlicht
Verfasst: 25. Februar 2017, 14:13
Tagesthemen am 21.2.2017: SPD-Positionen unsachlich verniedlicht
http://www.tagesschau.de/multimedia/vid ... 62331.html
Sehr geehrte Damen und Herren des NDR-Rundfunkrates,
am 21.02.17 .berichteten die Tagesthemen über den SPD-Kanzlerkandidaten Schulz und seine Absicht, im Falle seines Wahlsieges die „sachgrundlose Befristung" von Arbeitsverträgen abzuschaffen und die Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld zu verlängern.
Es kommt der Beschäftigte einer Kölner Sicherheitsfirma zu Wort, der auf Basis eines Zweijahresvertrages tätig ist. Er beschreibt seine Ängste und Unsicherheit, den Arbeitsplatz möglicherweise nach Ablauf von zwei Jahren wieder zu verlieren.
ARD-aktuell gibt sich dann scheinneutral und dem Zuschauer zur Abwägung, ob derlei Befristungen sinnvoll sind oder nicht.
Das beginnt allerdings mit einer Falschdarstellung, die das vom Betroffenen zuvor Gesagte komplett ignoriert: "...die Befristung (kann) auch eine Chance sein für Mitarbeiter wie Falk (der interviewte Arbeitnemer) ". Diese Behauptung steht eindeutig im Gegensatz zu dem, was der Interviewte nachvollziehbar über seine Arbeitsplatzverlustängste gerade vorher gesagt hatte.
Die sachlich nicht begründbare Befristung als "Chance" zu bezeichnen und nicht als das, was sie ist, nämlich ein Zwangsmittel zur Produktion vollkommen gefügiger Arbeitssklaven, ist eine manipulative Verharmlosung. Einem Zeitvertrags-Arbeitnehmer mag in Aussicht gestellt worden sein, in ein unbefristetes Vertragsverhältnis übernommen zu werden. In Anbetracht der Rahmenbedingungen für diese vage Möglichkeit – ein Rechtsanspruch darauf besteht ja nicht – aber von einer „Chance“ (positiv konnotiert!) zu reden, ist unqualifiziertes, empathiefreies Geschwätz. Ein zeitvertragsbedingtes Abhängigkeitsverhältnis trotz seines erpresserischen Beigeschmacks mit dem Vokabular der Arbeitgeberverbände und der Intiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM zu beschönigen, verletzt das Gebot der Sachlichkeit und den Auftrag, objektiv zu berichten.
Noch deutlicher sichtbar wurden die dieser „Formulierungskunst“ innewohnende Gedankenlosigkeit und Empathieunfähigkeit, als ein Leiter der Sicherheitsfirma mit dem abgedroschenen und zynischen „Argument" zu Wort kommt, der Arbeitnehmer könne in den zwei Jahren ja den Betrieb besser kennenlernen; das Unternehmen auf der anderen Seite habe nach zwei Jahren die Möglichkeit, zu entscheiden, den Arbeitnehmer dauerhaft zu übernehmen. Dass ARD-aktuell kritische Nachfragen hierzu unterlässt, beweist, dass der Redaktion die Inhumanität der Arbeitgeber-Ideologie entweder nicht einmal bewusst oder ihr gar gleichgültig ist. Nebenbei gefragt: Wieviele Redakteure hat ARD-aktuell auf Zeitvertragsbasis beschäftigt?
In dem TT-Beitrag folgen weitere Ausführungen zu den in Bielefeld geäußerten Forderungen des Kanzlerkandidaten: "Schulz sind die Befristungen ein Dorn im Auge". Diese Sprache hat nichts mit objektiver Berichterstattung zu tun, die Formulierung "Dorn im Auge“ als Metapher für die Forderung, inhumane Rechtsnormen der Arbeitswelt abzuschaffen, ist eine unzulässige Verniedlichung. In der Programmrichtlinie heisst es unmissverständlich: "Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten".
Anschließend an die Schulz-Ausführungen stellt TT die Frage: "Aber gibt es wirklich ein Problem mit befristeten Verträgen?" Damit wird Schulz faktisch Irrationalität unterstellt. Die - mit Verlaub! – tatsächlich bescheuerte Frage wird zudem nur dem Arbeitgebervertreter vorgelegt, und eben diese Auswahl zeigt ungeschminkt die Schlagseite der Redaktion bei dieser Thematik.
Strich drunter: Zur überfälligen Thematik "Aufhebung der Befristungsregeln des Arbeitsrechts" hat ARD-aktuell zweimal Arbeitgeberpositionen vermittelt und der Forderung des Kanzlerkandidaten Schulz entgegengestellt. Nicht einmal ein Gewerkschaftsfunktionär kam zu Wort; seine Sicht der Dinge wäre hier unbedingt von Interesse gewesen. Mit objektiver Berichterstattung hatte das TT-Angebot nichts zu tun.
Reichlich unangemessen behandelte der TT-Bericht im Folgenden obendrein die Vorstellung des SPD-Kandidaten, die Bezugszeit von Arbeitslosengeldzu verlängern:
"Auch bei älteren Arbeitnehmern will sich Schulz kümmern". Schulz als "Kümmerer", als Gutmensch, nicht als Politiker, der bessere Rechte für Lohnabhängige fordert. Auch hier wieder die unzulässige Verniedlichung der Rolle des Kanzlerkandidaten und der Sache, um die es geht.
Die darin erkennbare Gesinnung zeigt sich in der anschließenden dummdreisten und sachlich unzutreffenden Behauptung: "Applaus bekommt Schulz heute nur von den Sozialverbänden...“ Hier soll mit anderen Worten gesagt werden: Schulz hat heute nur Stuss geredet, deshalb fand er lediglich bei einigen karikativen Organisationen Zustimmung. Das ignoriert eine aktuelle Meinungsumfrage, wonach 65% der Bevölkerung die Forderungen des Kandidaten Schulz teilen. Die Tagesthemen demonstrieren demgegenüber reaktionäre Schlagseite.
Liebe Sozi-nahe Rundfunkräte – die übrigen Damen und Herren Ratsmitglieder mögen sich ihren eigenen Vers machen –, Sie sehen an obigen Ausführungen, was Ihre Partei in diesem Jahr von ARD-aktuell vielleicht noch zu erwarten hat. Es ist Ihr Problem, zu begreifen, dass das „Flaggschiff der deutschen TV-Nachrichten“ den SPD-Kandidaten sehr wohl manipulativ zerlegen und seine „Chancen“ torpedieren kann.
Andererseits stellt sich natürlich die Frage, ob es Sie wirklich stört. dass damit zugleich auch die Hoffnungen einer Wählermehrheit auf mehr Gerechtigkeit und Gleichheit in der Arbeitswelt wieder versenkt würden. Uns allen ist ja bewusst, dass die SPD gerade ihr halbes soziales Jahr ausgerufen hat, und das endet eben nach den Wahlen im September, spätestens. Bis dahin ist das Spitzenpersonal dieser Partei (Tucholskys Namensvorschlag: „Hier können Familien Kaffeee kochen“) darum bemüht, die SPD als Frontorganisation für Arbeiter und Geringverdiener erscheinen zu lassen. Was Schulz später tun könnte oder würde, ist letztlich gleich...
Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam
http://www.tagesschau.de/multimedia/vid ... 62331.html
Sehr geehrte Damen und Herren des NDR-Rundfunkrates,
am 21.02.17 .berichteten die Tagesthemen über den SPD-Kanzlerkandidaten Schulz und seine Absicht, im Falle seines Wahlsieges die „sachgrundlose Befristung" von Arbeitsverträgen abzuschaffen und die Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld zu verlängern.
Es kommt der Beschäftigte einer Kölner Sicherheitsfirma zu Wort, der auf Basis eines Zweijahresvertrages tätig ist. Er beschreibt seine Ängste und Unsicherheit, den Arbeitsplatz möglicherweise nach Ablauf von zwei Jahren wieder zu verlieren.
ARD-aktuell gibt sich dann scheinneutral und dem Zuschauer zur Abwägung, ob derlei Befristungen sinnvoll sind oder nicht.
Das beginnt allerdings mit einer Falschdarstellung, die das vom Betroffenen zuvor Gesagte komplett ignoriert: "...die Befristung (kann) auch eine Chance sein für Mitarbeiter wie Falk (der interviewte Arbeitnemer) ". Diese Behauptung steht eindeutig im Gegensatz zu dem, was der Interviewte nachvollziehbar über seine Arbeitsplatzverlustängste gerade vorher gesagt hatte.
Die sachlich nicht begründbare Befristung als "Chance" zu bezeichnen und nicht als das, was sie ist, nämlich ein Zwangsmittel zur Produktion vollkommen gefügiger Arbeitssklaven, ist eine manipulative Verharmlosung. Einem Zeitvertrags-Arbeitnehmer mag in Aussicht gestellt worden sein, in ein unbefristetes Vertragsverhältnis übernommen zu werden. In Anbetracht der Rahmenbedingungen für diese vage Möglichkeit – ein Rechtsanspruch darauf besteht ja nicht – aber von einer „Chance“ (positiv konnotiert!) zu reden, ist unqualifiziertes, empathiefreies Geschwätz. Ein zeitvertragsbedingtes Abhängigkeitsverhältnis trotz seines erpresserischen Beigeschmacks mit dem Vokabular der Arbeitgeberverbände und der Intiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM zu beschönigen, verletzt das Gebot der Sachlichkeit und den Auftrag, objektiv zu berichten.
Noch deutlicher sichtbar wurden die dieser „Formulierungskunst“ innewohnende Gedankenlosigkeit und Empathieunfähigkeit, als ein Leiter der Sicherheitsfirma mit dem abgedroschenen und zynischen „Argument" zu Wort kommt, der Arbeitnehmer könne in den zwei Jahren ja den Betrieb besser kennenlernen; das Unternehmen auf der anderen Seite habe nach zwei Jahren die Möglichkeit, zu entscheiden, den Arbeitnehmer dauerhaft zu übernehmen. Dass ARD-aktuell kritische Nachfragen hierzu unterlässt, beweist, dass der Redaktion die Inhumanität der Arbeitgeber-Ideologie entweder nicht einmal bewusst oder ihr gar gleichgültig ist. Nebenbei gefragt: Wieviele Redakteure hat ARD-aktuell auf Zeitvertragsbasis beschäftigt?
In dem TT-Beitrag folgen weitere Ausführungen zu den in Bielefeld geäußerten Forderungen des Kanzlerkandidaten: "Schulz sind die Befristungen ein Dorn im Auge". Diese Sprache hat nichts mit objektiver Berichterstattung zu tun, die Formulierung "Dorn im Auge“ als Metapher für die Forderung, inhumane Rechtsnormen der Arbeitswelt abzuschaffen, ist eine unzulässige Verniedlichung. In der Programmrichtlinie heisst es unmissverständlich: "Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten".
Anschließend an die Schulz-Ausführungen stellt TT die Frage: "Aber gibt es wirklich ein Problem mit befristeten Verträgen?" Damit wird Schulz faktisch Irrationalität unterstellt. Die - mit Verlaub! – tatsächlich bescheuerte Frage wird zudem nur dem Arbeitgebervertreter vorgelegt, und eben diese Auswahl zeigt ungeschminkt die Schlagseite der Redaktion bei dieser Thematik.
Strich drunter: Zur überfälligen Thematik "Aufhebung der Befristungsregeln des Arbeitsrechts" hat ARD-aktuell zweimal Arbeitgeberpositionen vermittelt und der Forderung des Kanzlerkandidaten Schulz entgegengestellt. Nicht einmal ein Gewerkschaftsfunktionär kam zu Wort; seine Sicht der Dinge wäre hier unbedingt von Interesse gewesen. Mit objektiver Berichterstattung hatte das TT-Angebot nichts zu tun.
Reichlich unangemessen behandelte der TT-Bericht im Folgenden obendrein die Vorstellung des SPD-Kandidaten, die Bezugszeit von Arbeitslosengeldzu verlängern:
"Auch bei älteren Arbeitnehmern will sich Schulz kümmern". Schulz als "Kümmerer", als Gutmensch, nicht als Politiker, der bessere Rechte für Lohnabhängige fordert. Auch hier wieder die unzulässige Verniedlichung der Rolle des Kanzlerkandidaten und der Sache, um die es geht.
Die darin erkennbare Gesinnung zeigt sich in der anschließenden dummdreisten und sachlich unzutreffenden Behauptung: "Applaus bekommt Schulz heute nur von den Sozialverbänden...“ Hier soll mit anderen Worten gesagt werden: Schulz hat heute nur Stuss geredet, deshalb fand er lediglich bei einigen karikativen Organisationen Zustimmung. Das ignoriert eine aktuelle Meinungsumfrage, wonach 65% der Bevölkerung die Forderungen des Kandidaten Schulz teilen. Die Tagesthemen demonstrieren demgegenüber reaktionäre Schlagseite.
Liebe Sozi-nahe Rundfunkräte – die übrigen Damen und Herren Ratsmitglieder mögen sich ihren eigenen Vers machen –, Sie sehen an obigen Ausführungen, was Ihre Partei in diesem Jahr von ARD-aktuell vielleicht noch zu erwarten hat. Es ist Ihr Problem, zu begreifen, dass das „Flaggschiff der deutschen TV-Nachrichten“ den SPD-Kandidaten sehr wohl manipulativ zerlegen und seine „Chancen“ torpedieren kann.
Andererseits stellt sich natürlich die Frage, ob es Sie wirklich stört. dass damit zugleich auch die Hoffnungen einer Wählermehrheit auf mehr Gerechtigkeit und Gleichheit in der Arbeitswelt wieder versenkt würden. Uns allen ist ja bewusst, dass die SPD gerade ihr halbes soziales Jahr ausgerufen hat, und das endet eben nach den Wahlen im September, spätestens. Bis dahin ist das Spitzenpersonal dieser Partei (Tucholskys Namensvorschlag: „Hier können Familien Kaffeee kochen“) darum bemüht, die SPD als Frontorganisation für Arbeiter und Geringverdiener erscheinen zu lassen. Was Schulz später tun könnte oder würde, ist letztlich gleich...
Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam