„Keine Zivilisten, keine Nahrungsmittel, keine Gnade"
Verfasst: 16. Oktober 2024, 18:22
Diese interessante (kleine) Schlagzeile ziert heute auf NZZ-Online das dortige Dossier „Krieg in Nahost“. Und der Teaser lautet: „Setzt Israel im äussersten Norden des Gazastreifens den 'Plan der Generäle' um? Im Schatten einer Eskalation mit Iran und der Offensive in Libanon will Israel in Nordgaza Fakten schaffen. Hinter den heftigen Angriffen der vergangenen Tage steckt wohl ein Vorschlag einflussreicher Ex-Offiziere.“ Der Artikel verschwindet dann hinter der Bezahlschranke, und so begnüge ich mich mit meiner bisherigen, medienkritischen Methode, die dem Motto folgt:
So wie die NZZ auf dieser oberflächlichsten Oberfläche (bzw. Oberflächlichkeit) bisher den Gazakrieg „reflektiert“ hat, fragt man sich: Sind solche Worte ein später Ausrutscher? Schliesslich haben die Kritiker des Kriegs rund um die Welt noch nie, schon vor einem Jahr nicht, irgendwelche Generäle gebraucht, weder „einflussreiche“ noch „Ex-“, um zu wissen, dass die israelische Führung mit ihrer Schlächterei „Fakten schafft“ – und dies auch will; und irgendeinen „Schatten einer Eskalation mit Iran“ und eine „Offensive in Libanon“ hatten wir dafür ebenfalls nicht nötig; uns genügte beispielsweise die berühmte „Hannibal-Doktrin“, nach welcher die israelischen Soldaten schon am 7. Oktober „gegen“ den grausigen Hamas-Angriff vorzugehen hatten, und die da auf das überaus zynische Motto hinausläuft: „Ohne Rücksicht auf Verluste – auch in den eigenen Reihen“.
Oder sind Schlagzeile und Teaser Zeichen einer Trendwende in der Redaktion, und man beginnt dort, das grausige Geschehen tatsächlich ein bisschen in der Schärfe zu sehen, in der es sich von Anfang an abzeichnete? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Da bin und bleibe ich Optimist. Und bleibe gleichwohl in meinen Erwartungen eher Realist. Weil die Erfahrungen bisher meinem Optimismus meist widersprochen haben.
...und als Zugabe ein p.s.:
Obige Zeilen schickte ich (Benjamin Kradolfer) am 13. 10. 2024 an die Redaktionen von NZZ und NZZamSonntag. Ich beschränkte mich auf diese exakt 1964 Zeichen, um ihnen nicht von vornherein durch ein Überschreiten des 2000-Zeichen-Maximums eine mögliche Publikation in den Leserbriefecken der beiden NZZ-Printmedien zu verbauen, wobei ich nicht einmal weiss, ob besagter Titel in einem der beiden überhaupt erschienen ist, und online habe ich eine Leserbriefecke noch nicht entdeckt. Eine winzig kleine Hoffnung also alles in allem, zumal ich mich ja auch noch offen zu meiner Weigerung bekenne, Medienhäusern, deren tägliche Geistesblitz-Produkte meinem medienkritischen Sinn immer offensichtlicher und in immer erschreckenderem Ausmasse ein Gräuel geworden sind, auch noch beim finanziellen Überleben zu helfen. Ich wünsche mir ja das genaue Gegenteil: Mögen ihnen ihre Leser massenhaft abspenstig werden und sie an ihrer eigenen Verlogenheit eingehen lassen (wie jüngst von ihrem Schweizer Konkurrenten Tamedia-Gruppe auch die NZZ berichten konnte), und selbstverständlich widerspricht das den Interessen der verantwortlichen Redakteure diametral. Aber um mir trotz alledem eine Minimalchance zu bewahren, habe ich in meinen Zeilen auf paar weitere Auffälligkeiten in den zitierten Titel- und Teaserworten verzichtet, die mir aber als Exempel für die infamen Irreführungs-Methoden des Mainstreams generell bemerkenswert (will sagen: des sich-für-immer-Merkens wert!) scheinen, und die deshalb hier kurz auszuführen mir ein Vergnügen ist:
Erstens scheint der raunende Unterton des besagten Titelzitats – 'steckt wohl ein Vorschlag' dahinter, ein 'Plan von (Ex-)Generälen' mit Fragezeichen, irgendwie 'einflussreich' – auf den ersten Blick ganz dem auf NZZ-Online seit über einem Jahr nicht wegzudenkenden, sturen, täglichen Verweis auf die Unüberprüfbarkeit der Opferzahlen im Gazastreifen zu entsprechen, den wir deshalb auf immer und ewig zu bedenken aufgefordert sind, weil letztere ja von Hamas-Offiziellen stammen und selbstredend nicht wirklich glaubwürdig sein können, selbst wo die UNO sie bestätigt; und nun bringt man also auch israelische Angaben zu Gaza-Ungeheuerlichkeiten, die aber gefälligst als ebenso wenig feststehend, als möglicherweise ebenfalls unzutreffend zu verstehen sind. Aber damit sind wir schon bei den (meiner Überzeugung nach) ziemlich genau entgegengesetzten Zielen angelangt, denen die Formulierungen in Wirklichkeit dienen: zum einen die NZZ als journalistisch vorbildlich rapportierende Quelle auszuweisen (die sie im Ganzen schon lange nicht mehr ist, schon gar nicht in Bezug auf Gaza), feststehende Fakten zum Schein leicht erkennbar abhebend von blossen Gerüchten, Mutmassungen oder Übertreibungen, was die Redakteure aber andernorts bei andern israelischen Regierungs-Verlautbarungen nur allzu oft nicht für nötig halten; und zum anderen dem Ziel, genau diese Fakten, welche da de facto schon längst vor aller Welt geschaffen wurden, zur blossen Spekulation zu verniedlichen, dabei ist es längst kein Geheimnis mehr, dass ein allenfallsiger Wiederaufbau des Gazastreifens sich über Jahrzehnte hinziehen würde, wenn denn überhaupt je genug Geld dafür bereitgestellt werden sollte – eine Frage übrigens, die zu stellen auch die NZZ noch nirgends auf die Idee gekommen ist, ganz im Gegensatz zu den Verheerungen des Ukrainekriegs, wo ihr längst völlig klar ist, wer Reparationen zu leisten hat; und noch dazu soll auch offen bleiben, was „Israel“ im Norden Gazas denn nun wirklich „will“ – oder genauer: allenfalls überhaupt eventuell wollen könnte, denn letztlich zielt die Frage ja nicht darauf, was „Israel will“ in einem Teilabschnittchen seines sich rapide ausweitenden Kampfgebietes, sondern darauf, ob es sich dabei tatsächlich um einen ominösen Plan von irgendwelchen abgedankten Generälen handelt, und wie könnte sich da ein journalistisch so hoch angesehenes Traditions-Institut wie die NZZ generell auf die Äste hinauswagen, solange noch nicht ausreichend heute noch schwer einzusehende Anzeichen einigermassen dafür oder dagegen zu sprechen den Anschein machen könnten, über welche zu spekulieren man aber allerhöchstens momentan und morgen wohl schon nicht mehr usw... denn schliesslich muss der Denk- und Diskursraum ja täglich aufs Neue mit irgendwelchem wichtigtuerischen Kram gefüllt werden, sonst fühlt sich der anspruchsvolle Leser unterfordert, und das hat er nicht gern.
Zweitens wurden zwar die „heftigen Angriffe der vergangenen Tage (...) im äussersten Norden des Gazastreifens“ auch in den meisten anderen Mainstream-Medien wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande gestreift, man könnte auch sagen: beinahe vollkommen ins undurchdringliche Schwarz der besagten Schatten von Eskalation bzw. Offensive andernorts versenkt, auf welche sich die „Berichterstatter“ nun seit jüngstem stürzen können und selbstverständlich auch tatsächlich stürzen, nach dem Motto: Ach wie gut, werden da auch UNO-Blauhelme bombardiert und verletzt, da fällt es keiner Sau auf, dass wir von bombardierten Libanesen und Palästinensern rein gar nichts mehr bringen; aber eben auch für NZZ-Online selber war das Grauen dort kaum noch von irgendeinem Interesse, und so ist die Rede von den „heftigen Angriffen“ und vom „äussersten Norden“ äusserst manipulativ, suggeriert sie doch nicht nur, wer sich NZZ-kundig gemacht habe, der habe selbstverständlich genau Bescheid gestossen bekommen, wie „heftig“ es für die nördlichen Gaza-Palästinenser während eben dieser Tage zuging, sondern auch, es handle sich ja nur um ein winzig kleines, also praktisch zu vernachlässigendes Gebietlein. Dem ist aber nicht so: Von irgendwelchen Heftigkeiten in den letzten Tagen und in irgendeinem Achtelkantönchen weiss eben auch, wer NZZ gelesen hat, nichts, ganz einfach, weil es keine Titel, die auf irgendwelche Opfer aufmerksam gemacht hätten, und sei's nur in Form des Bemühens um halbwegs aussagekräftige Zahlen, anzuclicken gab und gibt! Mag der Leser, wenn er will, sich damit abfinden, dass er halt in den letzten Tagen nicht immer die ganze NZZ gelesen und deshalb die Schreckens-News verpasst hat... Dabei hätte er hierfür ganz andere Quellen anzapfen müssen, Quellen, die wiederum den NZZ-Machern an ihren Schreibtischen am Sechseläutenplatz beim Zürcher Opernhaus am herrlichen Zürichsee ein ebensolcher Gräuel sein dürften wie den Herren des Krieges in ihren Tel Aviver und Washingtoner und Brüsseler Chefsesseln, weil die dortige Nahost-Berichterstattung dem regierungsamtlich geschönten Fresko von der höchst ehrenwerten, hohen Politik Israels und des Wertewestens, an dem auch die NZZ täglich mit kräftigem Pinselstrich mit herummalt, in Wort und Bild schlicht Hohn spricht, und zwar auf den ersten Blick.
Drittens prangt fast ebenso prominent, direkt rechts neben besagtem Titel, eine Schlagzeile mit Teaser und Bild und der Ansage, dass es „keine Alternative zu einer Bodenoffensive in Libanon“ gibt. Da könnte man auf den ersten Blick stutzig werden, mutet die Formulierung doch ziemlich obsolet an, nachdem die Offensive ja seit gut zehn Tagen keine mögliche Alternative zu irgendetwas anderem mehr ist, sondern schlicht Tatsache – warum also steht sie da? Ganz einfach: weil sie da seit bald einem Dritteljahr steht, genau seit dem 22. Juni 2024, Tag für Tag, immer an derselben prominenten Stelle des NZZ-Online-Dossiers „Krieg in Nahost“. Andere Titel und Teaser und Bilder tauchten die ganze Zeit über links daneben (wie besagter Titel) und rechts daneben und darüber und darunter für einen Tag auf und verflüchtigten sich am nächsten schon ins Archiv der sich unaufhörlich anhäufenden Vortage – aber nicht dieser! Seit rund hundert Tagen hat sich die NZZ-Online-Redaktion an immer genau dieser Stelle ihres Gesamtauftritts dem Leser beharrlich als Nahost-Prophetin angedient, so scheint es – ist es da, von einem rein menschlichen Standpunkt aus gesehen, nicht auch irgendwie verständlich, wenn sie sich den Triumph der nunmehr erfolgten Offensive gewissermassen ans Revers heftet und uns ihre Realität gewordene Prophezeiung weiterhin täglich aufs Auge drückt? Was man über lange Monate nur beschwören konnte, weil es noch nicht war – nun ist es glücklich Wahr- und Wirklichkeit geworden! Wenn das nicht für die politische Weitsicht und Expertise der Redaktion spricht, oh ihr lieben Leser... zieht eure eigenen Schlüsse daraus und bleibt der guten alten NZZ unbedingt treu, professioneller könnt ihr nicht darüber in Kenntnis gesetzt werden, was los ist auf der Welt, und das auch noch bevor es überhaupt passiert!
Viertens aber will mir scheinen, dass sich da die NZZ alles in allem ganz gehörig widerspricht, ja mehr noch: sich geradezu selber widerlegt. Da hat sie also schon seit dem 22. Juni gewusst, wie die israelischen Kriegsherrn in der Frage einer Libanon-Invasion ticken und dies, verschlüsselt im Bericht über einen „Besuch in Israels Norden“, wo „die Zeichen auf Krieg stehen“, auch den Leser jeden einzelnen Tag wissen lassen – aber von den Fakten, welche genau dieselben Kriegsherren „im äussersten Norden des Gazastreifens schaffen wollen“, will sie bis eben jetzt nichts geahnt haben? – Na, wie auch immer: Zumindest in meiner Wahrnehmung – also irgendwie vielleicht doch auch von einem nicht ganz und gar unmenschlichen Standpunkt aus gesehen – zeichnen sich NZZ-Redakteure offensichtlich dadurch aus, dass sie keinerlei Problem damit haben, sich mit dem einen ebenso selbstverständlich wie mit dem andern, welches allerdings genau besehen das exakte Gegenteil des ersten ist, vor aller Welt zu brüsten: hie weitreichende, weise Exklusiv-Voraussicht, dort ahnungslose Unschuld. Und das, wo selbst die Hähne das Offensichtliche längst von den Dächern krähen.
Und wie lange noch, so frage ich mich fünftens, werden sie diesen ihren ach so „prophetischen“ Beitrag so prominent wie bis anhin stehen lassen? Ich fürchte, sie sind im Stande und ziehen das solange durch, wie sie es für nötig erachten, das Leiden der Israelis, auf dem sie so sehr beharren, nach der Regel, die da heisst „Kampf dem Antisemitismus! ewiges Gedenken an die Opfer des Holocaust!“, vollkommen pervertiert gegen dasjenige der Menschen im Gazastreifen und im Libanon aufzurechnen und generell alles semitische Leid mit ausdrücklicher Ausnahme des jüdischen zu ignorieren bzw. bestenfalls zu blossen, „nicht überprüfbaren“ Zahlen zu annullieren; solange wir uns also ohne aufzumcken damit abfinden sollen, dass unter der Vorgabe, die Ermordeten von Auschwitz seien zu ehren, genau sie, die sich heute gegen diesen postumen Meuchelmord noch weniger wehren können als damals gegen die Fakten, welche die „Endlösung“ in Europa schuf, täglich aufs Neue missbraucht werden als historische Rechtfertigung für die Schändlichkeiten, mittels derer heute in Nahost Fakten geschaffen werden. Und wie lange wird das so sein müssen? Etwa so lange, wie es den Kriegsherren in Tel Aviv beliebt, die Libanon-Invasion und die Iran-Eskalation andauern zu lassen? Und wie lange wird das sein? – Wer weiss! Nicht einmal die weise NZZ hat sich bisher diesbezüglich zu einer Prophezeiung hinreissen lassen.
Ja, die Zeiten, da ich noch – während über zwanzig Jahren: von ca. 1990 bis 2012 – regelmässig mit der Bahn zwischen dem Norden und Nordosten Deutschlands und der Schweiz hin und her pendelte und mir dabei zum Weltgeschehen die in den Abteilen liegen gebliebenen Zeitungen und Zeitschriften vorknöpfte, und wozu mir besonders das Ausland-Ressort der NZZ häufig viel Aufschlussreicheres zu vermitteln wusste als die andern – diese Zeiten sind gründlich vorbei. Schön wäre es, wenn die NZZ-Ausland-Seiten nur aufs Niveau der andern gesunken wären, aber so ist es leider nicht, nein: Allesamt haben sie es geschafft, noch viel weiter darunter hinunter zu sinken. Nicht nur die NZZ-, nein: die Mainstream-Redakteure allgemein kennen heute keine Gnade mehr mit uns Info-Zivilisten, und statt mit gesunder, atoxischer Geistes-Nahrung zum Weltgeschehen versorgen sie uns mit einer Unzahl täglicher Giftspritzen, auf dass wir allesamt Militaristen werden und dereinst, wenn wir dann zwischen den Trümmerbergen stehen und uns in den endlosen Friedhofslandschaften mit den unzähligen, in Reih und Glied stehenden Kreuzen umschauen, von allem nichts gewusst haben – ausgenommen freilich das, was unsere „Feinde“ verbrochen haben.
„Die letzten Tage der Menschheit“ – das ist es, was sie uns heute einmal mehr Tag für Tag vorexekutieren, gerade so, wie es uns Karl Kraus in seinem berühmten Mammut-Schauspiel aus den über 1500 Tagen des Ersten Weltkriegs mit kritischem Blick zu sehen gelehrt hat, also schon vor über hundert Jahren: fünf höllische Akte mit reisserischem Vorspiel und gespenstischem Epilog, wahrlich eine Mammut-Lektion in jeder Beziehung: auf dem Papier wie auf der Bühne und erst recht auf den realen, von realem Menschenblut nur so triefenden Schlachtfeldern – von der aber die Hirnwindungen unserer aktuellen Tages-Schmieranten offensichtlich vollkommen unberührt geblieben sind.
„An ihren Schlagzeilen und Teasern sollt und könnt ihr sie erkennen!“
So wie die NZZ auf dieser oberflächlichsten Oberfläche (bzw. Oberflächlichkeit) bisher den Gazakrieg „reflektiert“ hat, fragt man sich: Sind solche Worte ein später Ausrutscher? Schliesslich haben die Kritiker des Kriegs rund um die Welt noch nie, schon vor einem Jahr nicht, irgendwelche Generäle gebraucht, weder „einflussreiche“ noch „Ex-“, um zu wissen, dass die israelische Führung mit ihrer Schlächterei „Fakten schafft“ – und dies auch will; und irgendeinen „Schatten einer Eskalation mit Iran“ und eine „Offensive in Libanon“ hatten wir dafür ebenfalls nicht nötig; uns genügte beispielsweise die berühmte „Hannibal-Doktrin“, nach welcher die israelischen Soldaten schon am 7. Oktober „gegen“ den grausigen Hamas-Angriff vorzugehen hatten, und die da auf das überaus zynische Motto hinausläuft: „Ohne Rücksicht auf Verluste – auch in den eigenen Reihen“.
Oder sind Schlagzeile und Teaser Zeichen einer Trendwende in der Redaktion, und man beginnt dort, das grausige Geschehen tatsächlich ein bisschen in der Schärfe zu sehen, in der es sich von Anfang an abzeichnete? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Da bin und bleibe ich Optimist. Und bleibe gleichwohl in meinen Erwartungen eher Realist. Weil die Erfahrungen bisher meinem Optimismus meist widersprochen haben.
...und als Zugabe ein p.s.:
Obige Zeilen schickte ich (Benjamin Kradolfer) am 13. 10. 2024 an die Redaktionen von NZZ und NZZamSonntag. Ich beschränkte mich auf diese exakt 1964 Zeichen, um ihnen nicht von vornherein durch ein Überschreiten des 2000-Zeichen-Maximums eine mögliche Publikation in den Leserbriefecken der beiden NZZ-Printmedien zu verbauen, wobei ich nicht einmal weiss, ob besagter Titel in einem der beiden überhaupt erschienen ist, und online habe ich eine Leserbriefecke noch nicht entdeckt. Eine winzig kleine Hoffnung also alles in allem, zumal ich mich ja auch noch offen zu meiner Weigerung bekenne, Medienhäusern, deren tägliche Geistesblitz-Produkte meinem medienkritischen Sinn immer offensichtlicher und in immer erschreckenderem Ausmasse ein Gräuel geworden sind, auch noch beim finanziellen Überleben zu helfen. Ich wünsche mir ja das genaue Gegenteil: Mögen ihnen ihre Leser massenhaft abspenstig werden und sie an ihrer eigenen Verlogenheit eingehen lassen (wie jüngst von ihrem Schweizer Konkurrenten Tamedia-Gruppe auch die NZZ berichten konnte), und selbstverständlich widerspricht das den Interessen der verantwortlichen Redakteure diametral. Aber um mir trotz alledem eine Minimalchance zu bewahren, habe ich in meinen Zeilen auf paar weitere Auffälligkeiten in den zitierten Titel- und Teaserworten verzichtet, die mir aber als Exempel für die infamen Irreführungs-Methoden des Mainstreams generell bemerkenswert (will sagen: des sich-für-immer-Merkens wert!) scheinen, und die deshalb hier kurz auszuführen mir ein Vergnügen ist:
Erstens scheint der raunende Unterton des besagten Titelzitats – 'steckt wohl ein Vorschlag' dahinter, ein 'Plan von (Ex-)Generälen' mit Fragezeichen, irgendwie 'einflussreich' – auf den ersten Blick ganz dem auf NZZ-Online seit über einem Jahr nicht wegzudenkenden, sturen, täglichen Verweis auf die Unüberprüfbarkeit der Opferzahlen im Gazastreifen zu entsprechen, den wir deshalb auf immer und ewig zu bedenken aufgefordert sind, weil letztere ja von Hamas-Offiziellen stammen und selbstredend nicht wirklich glaubwürdig sein können, selbst wo die UNO sie bestätigt; und nun bringt man also auch israelische Angaben zu Gaza-Ungeheuerlichkeiten, die aber gefälligst als ebenso wenig feststehend, als möglicherweise ebenfalls unzutreffend zu verstehen sind. Aber damit sind wir schon bei den (meiner Überzeugung nach) ziemlich genau entgegengesetzten Zielen angelangt, denen die Formulierungen in Wirklichkeit dienen: zum einen die NZZ als journalistisch vorbildlich rapportierende Quelle auszuweisen (die sie im Ganzen schon lange nicht mehr ist, schon gar nicht in Bezug auf Gaza), feststehende Fakten zum Schein leicht erkennbar abhebend von blossen Gerüchten, Mutmassungen oder Übertreibungen, was die Redakteure aber andernorts bei andern israelischen Regierungs-Verlautbarungen nur allzu oft nicht für nötig halten; und zum anderen dem Ziel, genau diese Fakten, welche da de facto schon längst vor aller Welt geschaffen wurden, zur blossen Spekulation zu verniedlichen, dabei ist es längst kein Geheimnis mehr, dass ein allenfallsiger Wiederaufbau des Gazastreifens sich über Jahrzehnte hinziehen würde, wenn denn überhaupt je genug Geld dafür bereitgestellt werden sollte – eine Frage übrigens, die zu stellen auch die NZZ noch nirgends auf die Idee gekommen ist, ganz im Gegensatz zu den Verheerungen des Ukrainekriegs, wo ihr längst völlig klar ist, wer Reparationen zu leisten hat; und noch dazu soll auch offen bleiben, was „Israel“ im Norden Gazas denn nun wirklich „will“ – oder genauer: allenfalls überhaupt eventuell wollen könnte, denn letztlich zielt die Frage ja nicht darauf, was „Israel will“ in einem Teilabschnittchen seines sich rapide ausweitenden Kampfgebietes, sondern darauf, ob es sich dabei tatsächlich um einen ominösen Plan von irgendwelchen abgedankten Generälen handelt, und wie könnte sich da ein journalistisch so hoch angesehenes Traditions-Institut wie die NZZ generell auf die Äste hinauswagen, solange noch nicht ausreichend heute noch schwer einzusehende Anzeichen einigermassen dafür oder dagegen zu sprechen den Anschein machen könnten, über welche zu spekulieren man aber allerhöchstens momentan und morgen wohl schon nicht mehr usw... denn schliesslich muss der Denk- und Diskursraum ja täglich aufs Neue mit irgendwelchem wichtigtuerischen Kram gefüllt werden, sonst fühlt sich der anspruchsvolle Leser unterfordert, und das hat er nicht gern.
Zweitens wurden zwar die „heftigen Angriffe der vergangenen Tage (...) im äussersten Norden des Gazastreifens“ auch in den meisten anderen Mainstream-Medien wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande gestreift, man könnte auch sagen: beinahe vollkommen ins undurchdringliche Schwarz der besagten Schatten von Eskalation bzw. Offensive andernorts versenkt, auf welche sich die „Berichterstatter“ nun seit jüngstem stürzen können und selbstverständlich auch tatsächlich stürzen, nach dem Motto: Ach wie gut, werden da auch UNO-Blauhelme bombardiert und verletzt, da fällt es keiner Sau auf, dass wir von bombardierten Libanesen und Palästinensern rein gar nichts mehr bringen; aber eben auch für NZZ-Online selber war das Grauen dort kaum noch von irgendeinem Interesse, und so ist die Rede von den „heftigen Angriffen“ und vom „äussersten Norden“ äusserst manipulativ, suggeriert sie doch nicht nur, wer sich NZZ-kundig gemacht habe, der habe selbstverständlich genau Bescheid gestossen bekommen, wie „heftig“ es für die nördlichen Gaza-Palästinenser während eben dieser Tage zuging, sondern auch, es handle sich ja nur um ein winzig kleines, also praktisch zu vernachlässigendes Gebietlein. Dem ist aber nicht so: Von irgendwelchen Heftigkeiten in den letzten Tagen und in irgendeinem Achtelkantönchen weiss eben auch, wer NZZ gelesen hat, nichts, ganz einfach, weil es keine Titel, die auf irgendwelche Opfer aufmerksam gemacht hätten, und sei's nur in Form des Bemühens um halbwegs aussagekräftige Zahlen, anzuclicken gab und gibt! Mag der Leser, wenn er will, sich damit abfinden, dass er halt in den letzten Tagen nicht immer die ganze NZZ gelesen und deshalb die Schreckens-News verpasst hat... Dabei hätte er hierfür ganz andere Quellen anzapfen müssen, Quellen, die wiederum den NZZ-Machern an ihren Schreibtischen am Sechseläutenplatz beim Zürcher Opernhaus am herrlichen Zürichsee ein ebensolcher Gräuel sein dürften wie den Herren des Krieges in ihren Tel Aviver und Washingtoner und Brüsseler Chefsesseln, weil die dortige Nahost-Berichterstattung dem regierungsamtlich geschönten Fresko von der höchst ehrenwerten, hohen Politik Israels und des Wertewestens, an dem auch die NZZ täglich mit kräftigem Pinselstrich mit herummalt, in Wort und Bild schlicht Hohn spricht, und zwar auf den ersten Blick.
Drittens prangt fast ebenso prominent, direkt rechts neben besagtem Titel, eine Schlagzeile mit Teaser und Bild und der Ansage, dass es „keine Alternative zu einer Bodenoffensive in Libanon“ gibt. Da könnte man auf den ersten Blick stutzig werden, mutet die Formulierung doch ziemlich obsolet an, nachdem die Offensive ja seit gut zehn Tagen keine mögliche Alternative zu irgendetwas anderem mehr ist, sondern schlicht Tatsache – warum also steht sie da? Ganz einfach: weil sie da seit bald einem Dritteljahr steht, genau seit dem 22. Juni 2024, Tag für Tag, immer an derselben prominenten Stelle des NZZ-Online-Dossiers „Krieg in Nahost“. Andere Titel und Teaser und Bilder tauchten die ganze Zeit über links daneben (wie besagter Titel) und rechts daneben und darüber und darunter für einen Tag auf und verflüchtigten sich am nächsten schon ins Archiv der sich unaufhörlich anhäufenden Vortage – aber nicht dieser! Seit rund hundert Tagen hat sich die NZZ-Online-Redaktion an immer genau dieser Stelle ihres Gesamtauftritts dem Leser beharrlich als Nahost-Prophetin angedient, so scheint es – ist es da, von einem rein menschlichen Standpunkt aus gesehen, nicht auch irgendwie verständlich, wenn sie sich den Triumph der nunmehr erfolgten Offensive gewissermassen ans Revers heftet und uns ihre Realität gewordene Prophezeiung weiterhin täglich aufs Auge drückt? Was man über lange Monate nur beschwören konnte, weil es noch nicht war – nun ist es glücklich Wahr- und Wirklichkeit geworden! Wenn das nicht für die politische Weitsicht und Expertise der Redaktion spricht, oh ihr lieben Leser... zieht eure eigenen Schlüsse daraus und bleibt der guten alten NZZ unbedingt treu, professioneller könnt ihr nicht darüber in Kenntnis gesetzt werden, was los ist auf der Welt, und das auch noch bevor es überhaupt passiert!
Viertens aber will mir scheinen, dass sich da die NZZ alles in allem ganz gehörig widerspricht, ja mehr noch: sich geradezu selber widerlegt. Da hat sie also schon seit dem 22. Juni gewusst, wie die israelischen Kriegsherrn in der Frage einer Libanon-Invasion ticken und dies, verschlüsselt im Bericht über einen „Besuch in Israels Norden“, wo „die Zeichen auf Krieg stehen“, auch den Leser jeden einzelnen Tag wissen lassen – aber von den Fakten, welche genau dieselben Kriegsherren „im äussersten Norden des Gazastreifens schaffen wollen“, will sie bis eben jetzt nichts geahnt haben? – Na, wie auch immer: Zumindest in meiner Wahrnehmung – also irgendwie vielleicht doch auch von einem nicht ganz und gar unmenschlichen Standpunkt aus gesehen – zeichnen sich NZZ-Redakteure offensichtlich dadurch aus, dass sie keinerlei Problem damit haben, sich mit dem einen ebenso selbstverständlich wie mit dem andern, welches allerdings genau besehen das exakte Gegenteil des ersten ist, vor aller Welt zu brüsten: hie weitreichende, weise Exklusiv-Voraussicht, dort ahnungslose Unschuld. Und das, wo selbst die Hähne das Offensichtliche längst von den Dächern krähen.
Und wie lange noch, so frage ich mich fünftens, werden sie diesen ihren ach so „prophetischen“ Beitrag so prominent wie bis anhin stehen lassen? Ich fürchte, sie sind im Stande und ziehen das solange durch, wie sie es für nötig erachten, das Leiden der Israelis, auf dem sie so sehr beharren, nach der Regel, die da heisst „Kampf dem Antisemitismus! ewiges Gedenken an die Opfer des Holocaust!“, vollkommen pervertiert gegen dasjenige der Menschen im Gazastreifen und im Libanon aufzurechnen und generell alles semitische Leid mit ausdrücklicher Ausnahme des jüdischen zu ignorieren bzw. bestenfalls zu blossen, „nicht überprüfbaren“ Zahlen zu annullieren; solange wir uns also ohne aufzumcken damit abfinden sollen, dass unter der Vorgabe, die Ermordeten von Auschwitz seien zu ehren, genau sie, die sich heute gegen diesen postumen Meuchelmord noch weniger wehren können als damals gegen die Fakten, welche die „Endlösung“ in Europa schuf, täglich aufs Neue missbraucht werden als historische Rechtfertigung für die Schändlichkeiten, mittels derer heute in Nahost Fakten geschaffen werden. Und wie lange wird das so sein müssen? Etwa so lange, wie es den Kriegsherren in Tel Aviv beliebt, die Libanon-Invasion und die Iran-Eskalation andauern zu lassen? Und wie lange wird das sein? – Wer weiss! Nicht einmal die weise NZZ hat sich bisher diesbezüglich zu einer Prophezeiung hinreissen lassen.
Ja, die Zeiten, da ich noch – während über zwanzig Jahren: von ca. 1990 bis 2012 – regelmässig mit der Bahn zwischen dem Norden und Nordosten Deutschlands und der Schweiz hin und her pendelte und mir dabei zum Weltgeschehen die in den Abteilen liegen gebliebenen Zeitungen und Zeitschriften vorknöpfte, und wozu mir besonders das Ausland-Ressort der NZZ häufig viel Aufschlussreicheres zu vermitteln wusste als die andern – diese Zeiten sind gründlich vorbei. Schön wäre es, wenn die NZZ-Ausland-Seiten nur aufs Niveau der andern gesunken wären, aber so ist es leider nicht, nein: Allesamt haben sie es geschafft, noch viel weiter darunter hinunter zu sinken. Nicht nur die NZZ-, nein: die Mainstream-Redakteure allgemein kennen heute keine Gnade mehr mit uns Info-Zivilisten, und statt mit gesunder, atoxischer Geistes-Nahrung zum Weltgeschehen versorgen sie uns mit einer Unzahl täglicher Giftspritzen, auf dass wir allesamt Militaristen werden und dereinst, wenn wir dann zwischen den Trümmerbergen stehen und uns in den endlosen Friedhofslandschaften mit den unzähligen, in Reih und Glied stehenden Kreuzen umschauen, von allem nichts gewusst haben – ausgenommen freilich das, was unsere „Feinde“ verbrochen haben.
„Die letzten Tage der Menschheit“ – das ist es, was sie uns heute einmal mehr Tag für Tag vorexekutieren, gerade so, wie es uns Karl Kraus in seinem berühmten Mammut-Schauspiel aus den über 1500 Tagen des Ersten Weltkriegs mit kritischem Blick zu sehen gelehrt hat, also schon vor über hundert Jahren: fünf höllische Akte mit reisserischem Vorspiel und gespenstischem Epilog, wahrlich eine Mammut-Lektion in jeder Beziehung: auf dem Papier wie auf der Bühne und erst recht auf den realen, von realem Menschenblut nur so triefenden Schlachtfeldern – von der aber die Hirnwindungen unserer aktuellen Tages-Schmieranten offensichtlich vollkommen unberührt geblieben sind.