Bsirske und "Fakten statt Mythen"

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Maren
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Bsirske und "Fakten statt Mythen"

Beitrag von Maren »

PS: Bsirske und "Fakten statt Mythen" (9.10.16 Tagesschau.de)

Werte Rundfunkräte, werter Herr Intendant,

in der "Rheinischen Post" hatte sich ver.di-Vorsitzender Bsirske dafür ausgesprochen, den Rentenbeitragssatz (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil) allmählich bis auf 26 Prozent anzuheben, um auch den Angehörigen der jüngeren Generation ein gutes Rentenniveau zu garantieren: "Es ist vertretbar, den Beitragssatz schrittweise Jahr für Jahr anzuheben, zum Beispiel um jeweils 0,2 Prozentpunkte".

Eine Vielzahl der kommerziellen Medien (Zeit, Spiegel, RTL u.v.a.) haben über diesen Vorschlag berichtet. ARD-aktuell verschwieg ihn, ein offenbar absichtliches Schweigen in der Absicht, soziale Probleme soweit wie möglich unter der Decke zu halten und den neoliberalen Kurs der Bundesregierung nicht zu stören. Die Propagierung einer aggressive Außenpolitik und das Kaschieren innerer sozialer Probleme, ARD-aktuell weiss das, gehören zusammen, sie sind die zwei Seiten einer Medaille.

Birskes Vorstoß zu ignorieren ist eine redaktionelle Fehlleistung, ein eindeutiger Verstoß gegen die Verpflichtung zur umfassenden Berichterstattung lt. Programmauftrag und Programmrichtlinien des NDR-Staatsvertrags. Bsirske repräsentiert immerhin die mitgliederstärkste deutsche Einzelgewerkschaft im DGB.

Dass dieses Verschweigen nicht versehentlich geschah, sondern Ausdruck des neoliberalen, konformistischen Grundverständnisses bei ARD-aktuell ist, zeigt der parallel bei Tagesschau.de veröffentlichte Beitrag: "Fakten statt Mythen" vom 9.10.16:

"Altersarmut, soziale Ungleichheit, Abstiegsängste: Die Sozialpolitik taugt zum Wahlkampfthema - weil sie jeden betrifft. Und genau deswegen trägt die Debatte auch oftmals alarmistische Züge - was vor allem Populisten nutzt."

http://www.tagesschau.de/inland/bab-soz ... s-101.html

Wie so häufig, wenn in der Gesellschaft Besorgnisse über soziale Entwicklungen aufkommen, wird das Verkünden solcher Befürchtungen als "Populismus“ denunziert: Wer die Rentenentwicklung als Weg in die Altersarmut kritisiert, ist ein Populist und „Alarmist“. Zwar hatte Kassandra Recht, wie die Geschichte lehrt, und auch im Bezug auf die Renten spricht alles dafür, dass die Schwarzseher zu Recht eine Umkehr fordern. Doch was schert das ARD-aktuell?

Ohne einen eigenen Gedanken zu entwickeln, schreibt auch die Autorin des tagesschau.de-Beitrags aus anderen Veröffentlichungen ab, die vor mehr als zwei Wochen in den als neoliberal bekannten Mainstreammedien erschienen sind.

Zitiert wird Caritas-Chef Georg Cremer, der fragwürdigen Thesen zur Armut in einem kürzlich erschienen Buch vorstellte und dafür zwar wenig überraschendes Lob eines Regierungsmitglieds erhielt, jedoch erheblichen Widerspruch in Fachkreisen. Seine Positionen gelten in der Wissenschaft als Minderheitsmeinung ohne Gewicht. Rolf Rosenbrock, Chef des Paritätischer Wohlfahrtsverbandes, bezeichnete Cremer zutreffend als „neoliberal“.

http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=29066

Der andere in tagesschau.de zitierte "Experte" A.Börsch-Supan ist ein Lobbyist und der Versicherungswirtschaft auf vielfältige Weise verbunden (Berater, Gutachter, langjährige gemeinsame Tätigkeit in der MEA). Er tritt grundsätzlich für eine Erweiterung der privaten Altersvorsorge ein. Deren Nachteile (hohe Verwaltungskosten, Abhängigkeit von der Kapitalmarktentwicklung und Unerschwinglichkeit für Niedrigverdiener) werden von ihm allenfalls am Rande erwähnt. Die gesetzliche Rente wird dagegen regelmäßig als unzureichend und problembehaftet gesehen. Ihren Ausbau/Stabilisierung lehnt dieser eindeutig pro domo redende und schreibende „Experte" ab. Dass ein so gestrickter Lobbyist Altersarmut als Ergebnis der Entwicklung der gesetzlichen Rente in Deutschland bestreitet, ist geradezu Voraussetzung seiner lobbyistischen Tätigkeit.

Bezugnahme auf solches "Expertentum“ lässt sich nur mit einer Zielvorgabe der "Tagesschau.de“ : das Fernsehpublikum soll eingeseift werden. Obwohl inzwischen selbst ein Klippschüler merken kann, dass ein kapitalgedecktes Rentensystem in Zeiten von Währungskrise und Nullzinsen seinen Sicherungscharakter einbüßt und auch in besseren Zeiten gegenüber dem gesetzlichen Rentensystem nur Nachteile aufweist.

https://lobbypedia.de/wiki/Axel_B%C3%B6rsch-Supan

Dieser Beitrag zeigt eindrucksvoll, dass die Redaktion ARD-aktuell intellektuell nicht in der Lage ist, einen unabhängigen, neutralen Standpunkt zu wichtigen gesellschaftlichen Problemen zu entwickeln, sondern nur das blind absondert, was Lobbyisten der „Flaggschiff“-Besatzung vorkauen. Wenn schon Grundkenntnisse der Sozialökonomie nicht vorausgesetzt werden können, so wäre es doch journalistisch zwingend gewesen, im Zusammenhang mit der Rentenproblematik auch andere als die genannten neoliberalen „ Experten“ zu Wort kommen zu lassen, z.B. Prof. Butterwegge. Es wären Reformansätze für die gesetzliche Rente zu diskutieren gewesen, zum Beispiel die Beitragspflicht für alle Arten von Einkommen, nicht nur aus Arbeit, sondern auch aus Vermögen, der Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze, Mehrsäulen-Finanzierung gem. Schweizer Modell usw. usf...

Fazit: Das Verschweigen der Bsirske-Ausführungen und die einseitige Darstellung von Frau Lammers auf tagesschau.de verstoßen gegen die Programmrichtlinien.

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Maren
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Re: Bsirske und "Fakten statt Mythen"

Beitrag von Maren »

Von: l.marmor@ndr.de
Betreff: Ihre E-Mail vom 9. Oktober 2016
Sehr geehrter Herr Klinkhammer,
sehr geehrter Herr Bräutigam,

in Ihrer E-Mail vom 9. Oktober 2016 kritisieren Sie die Berichterstattung von ARD-aktuell.

Ich habe die verantwortliche Redaktion von ARD-aktuell gebeten, zu Ihrer Kritik Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme finden Sie im Anhang.

Mit freundlichen Grüßen

Lutz Marmor
Intendant des Norddeutschen Rundfunks
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg
Dateianhänge
Stellungnahme_Rentenniveau_geschwärzt.pdf
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Maren
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Re: Bsirske und "Fakten statt Mythen"

Beitrag von Maren »

PB vom 9. Oktober 2016 - Rentenniveau

Sehr geehrte Rundfunkräte,

nach intensiver Diskussion und erneuter sorgfältiger Prüfung der Stellungnahme haben wir festgestellt, dass die Ausführungen des Dr. Gniffke nicht ausreichen, uns zufrieden zu stellen:

Anscheinend lügt Dr. Gniffke, denn er behauptet, ein „Dementi" Bsirskes habe die Redaktion davon abgehalten, ein Veröffentlichung vorzunehmen. Der gesamte deutsche Mainstream, an dem Gniffke sich gewöhnlich sklavisch zu orientieren pflegt, hatte noch bis zum 11.10.16 unbeanstandet über das Interview berichtet.

Mit keinem Wort geht Dr. Gniffke auf die neoliberalen und arbeitnehmerfeindlichen Ausführungen des Lammers-Beitrages auf Tagesschau.de ein, so dass wir unsere Programmbeschwerde diesbezgl. als unbeantwortet einstufen.

Auch hier sehen wir: ARD-aktuell trägt ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung dafür, dass sich in Deutschland die Unkultur entwickelte, unerwünschte Äußerungen durch Diskriminierung ihres Autors, seine Ausgrenzung und Ignorieren seiner Ansichten zu unterdrücken.

Weil Dr. Gniffke Beschwerden über seine Programmangebote verständlicherweise als lästig empfindet, denunziert er (s. z.B. Todenhöfer-Interview) oder er weigert sich wie in diesem Fall, auf kritische Bemerkungen und Fragen konkret zu antworten. Diese Praxis pflegen ja auch Sie, die Rundfunkräte, auf Kritik antworten Sie inhaltlich überhaupt nicht. Es ist genau die Methode, die dazu führt, politische Eliten wegen ihres Machtgebarens und ihrer Arroganz abzulehnen und erforderlichenfalls aus dem Amt zu jagen (s. USA, Trump). In anderen Worten: Auch Sie, der Rundfunkrat, machen sich zu aktiven Förderern der genannten Unkultur.

F. Klinkhammer und V. Bräutigam
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